Todesritual: Thriller (German Edition)
aus Martinique. Ich fahre da manchmal hin. Ich habe einen französischen Pass«, sagte er. »Mögen Sie kubanischen Kaffee nicht?«
»Für mich ist der zu schwach. Aber ich verstehe unter Kaffee auch etwas, das einen aus dem Koma reißen kann.«
»Karibischer Kaffee ist im Allgemeinen nicht besonders stark. Koffein und Hitze vertragen sich nicht so gut.« Pinel führte ihn in die makellos saubere Küche, durch deren Fenstergitter man auf die Straße hinausblickte. An einer Wand hing eine große Landkarte von Kuba. Die Insel hatte die Form eines auf dem Kopf stehenden krummen Nagels. An einer anderen Wand hingen schnurgerade nebeneinander sieben gerahmte Fotos, die alle gleich und doch anders waren: Pinel im hellgrauen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte vor grünem Blattwerk, eine Frau am Arm. Auf jedem Foto war es eine andere Frau, und sie alle trugen Brautkleider und wurden dunkler und jünger, je älter Pinel wurde.
»Woher kommen Sie, Mr. Mingus?«
»Miami.«
Der alte Mann bot Max einen Stuhl an dem massiven Holztisch mit blauer Plastikdecke an, der vor dem Fenster stand.
» La ciudad de gusanos. Die Stadt der Würmer. So nennt Castro sie.«
»Wir mögen ihn auch nicht besonders.«
»Das ist untertrieben. Als er krank wurde, haben bei Ihnen die Menschen auf den Straßen gefeiert. Und ich habe gelesen, dass zur Feier seines Todes ein großes Fest im Stadion geplant ist. Ich finde das geschmacklos.«
»Emotionen schlagen hoch«, sagte Max und betrachtete die Karte an der Wand gegenüber.
»Jeder hat sein Kreuz zu tragen.« Lächelnd wandte sich Pinel der Espressokanne zu, die auf dem Herd blubberte. Die Luft zwischen ihnen füllte sich mit dem kräftigen Aroma frischen Kaffees.
Den wenigen Informationen zufolge, die Max noch am Morgen im Hotel im Internet gefunden hatte, war Antoine Pinel das dritte von fünf Kindern eines wohlhabenden Pariser Industriellen, eines Selfmade-Mannes, der von seinen Nachkommen erwartet hatte, dass sie in seine Fußstapfen traten wie Aufziehmodelle seiner selbst. Antoine hatte schon in jungen Jahren dagegen rebelliert. Mit dreizehn war er von der Jesuiten-Schule geflogen, weil er Sex mit der Putzfrau hatte, und mit fünfzehn war er der Kommunistischen Partei Frankreichs beigetreten. Sechs Jahre später, 1957, war er nach Kuba gegangen, um für Castro zu kämpfen. In Santa Clara wurde er mit einem Koffer voller Pistolen, Munition und Handgranaten aufgegriffen. Er landete im Gefängnis, wurde aber einige Monate später befreit, als die Stadt von Rebellentruppen unter der Führung Che Guevaras eingenommen wurde. Danach kämpfte er an der Seite Guevaras und war dabei, als die Revolutionäre am 8. Januar 1959 in Havanna einzogen. Zwei Jahre später kehrte er nach Paris zurück und engagierte sich in der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Er nahm an den berüchtigten Unruhen vom Oktober 1961 – dem »Massaker von Paris« – teil, bei dem zweihundert Menschen von der Polizei getötet wurden. Pinel wurde verhaftet und verbrachte erneut achtzehn Monate im Gefängnis. Nach seiner Freilassung kehrte er nach Kuba zurück, wo er seither mit Unterbrechungen lebte, als Übersetzer für Castro und andere Regierungsbonzen tätig war und mehrere Verlage betrieben hatte, die neben offiziellen Publikationen über die Geschichte Kubas auch Frauenromane veröffentlichten.
»Wie gefällt Ihnen Kuba bislang?«
»Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte … und doch ganz anders«, sagte Max.
Pinel nickte. »Sie sind verwirrt. So fängt es immer an. Kuba verändert auch das härteste Herz.«
»War das bei Ihnen so?«
» Mein Herz war noch nie hart. Ich lebe seit vierzig Jahren hier. Ich bin mehrmals nach Frankreich zurückgekehrt, um zu sehen, ob ich wieder dort leben könnte. Aber jedes Mal musste ich feststellen, dass sich mein Land auf eine Art und Weise verändert hatte, die mir nicht gefiel, die ich nicht verstand. Hier verändert sich so gut wie gar nichts. Hier hören die Dinge einfach auf zu funktionieren. Und irgendwann, vielleicht, manchmal, werden sie repariert, und alles ist wieder wie früher. Das gefällt mir.« Pinel nahm die gluckernde Kaffeekanne vom Herd und brachte sie zum Tisch.
»Kuba war Amerikas Hure und dann Russlands Mätresse«, sagte Pinel, als er den Kaffee einschenkte. »Amerika hat sie flachgelegt und an kriminelle Freier verkauft, hat ihr alles genommen, was sie zu bieten hatte, und ihr einen Hungerlohn dafür bezahlt. Russland hat sie
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