Todesrosen
Aufenthaltsgenehmigung war auf einen Monat beschränkt, und sie nutzten jede Minute.
Als Erlendur das Lokal betrat, wiegte sich eine Frau über dreißig zum Takt der Musik und drehte sich dabei um eine Stange auf einer erhöhten Bühne. Über ihrem Kopf hing eine Diskokugel, die farbige Lichtblitze durch den Saal warf. Die Frau hatte sich bereits ihres BHs entledigt, jetzt ging es nur noch um den Tanga. Es war schauerlich deutlich zu sehen, dass sie jenseits des idealen Striptease-Alters war. Drei Männer saßen dicht nebeneinander vor der Tanzfläche, zwei starrten zu ihr hoch, während der Kopf des dritten auf das Podest vor ihm gesunken war. Er schien tief und fest zu schlafen. Außer ihnen befanden sich noch einige andere Männer in dem Raum, auf diverse Tische verteilt. Ein Mann um die sechzig war von ein paar dürftig bekleideten Mädchen umgeben. Ein anderer hatte eine Flasche Champagner spendiert und seinen Arm um die Schultern eines Mädchens gelegt, er paffte großkotzig eine Zigarre.
Als die Musik aufhörte, sammelte die Frau auf der Tanzfläche ihre Sachen zusammen und ging völlig nackt an Erlendur vorbei aus dem Saal, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
»Do you like girls?«, fragte ein blondes Mädchen um die zwanzig, das urplötzlich aus dem Dunkel an Erlendurs Seite vor dem Tresen aufgetaucht war. Sie trug nur einen BH, einen winzigen Slip und dazu einen durchsichtigen Schal um die Schultern. Er war unschlüssig, wie er darauf antworten sollte. Falls er ja sagte, würde er sie nicht wieder loswerden, und falls er nein sagte, könnte es missverständlich sein. Außerdem war sein Englisch alles andere als gut.
»I am a police«, erklärte er. Das Mädchen maß ihn mit großen Augen von Kopf bis Fuß, ging dann ein paar Schritte rückwärts und verschwand genauso plötzlich, wie es gekommen war.
»Was darf es für dich sein?«, erkundigte sich der Barkeeper, der plötzlich von irgendwoher auftauchte. Er hatte rote Haare, die sich aber oben bereits zu lichten begannen. Die strähnigen Überreste im Nacken reichten gerade zu einem jämmerlichen Zopf. Er trug ein buntes Hawaiihemd und ein Goldkettchen um den Hals und nickte ständig mit dem Kopf.
»Bist du der Besitzer dieses Lokals?«
»Nein. Wieso? Stimmt was nicht?«
»Wo ist der Besitzer?«
»Macht Urlaub im Westen.«
»In den Westfjorden?«
»Nein, im Westen jenseits des großen Teichs. Was ist los?«
»Ich suche nach einem Mädchen.«
»Davon gibt’s hier genug. Such dir einfach eine aus. Willst du Champagner? Wir haben erstklassigen Champagner.«
»Das Mädchen, nach dem ich suche, ist tot.«
»Ups, danebengetippt.«
»Genau, total daneben. Sie ist aber vielleicht hier gewesen, hat womöglich auch getanzt, das weiß ich nicht. Sie war sehr mager und hatte eine besonders helle Haut und schwarze Haare, die etwas mehr als schulterlang waren. Braune Augen, hohe Stirn und kleiner Mund.«
»Ey, hör mal, wer bist du eigentlich? Weshalb erzählst du mir das alles?«
»Ich bin von der Kriminalpolizei.«
»Hohoho«, sagte der Barkeeper und klang wie der Weihnachtsmann. Er trat einen Schritt vom Tresen zurück und nickte mehrfach. »Wieso fragst du mich nach einem toten Mädchen? Ich hab doch nichts getan. Glaubst du vielleicht, ich hätte sie umgebracht?«
Die Musik setzte wieder ein, und das blonde Mädchen, das Erlendur auf Englisch angesprochen hatte, stand jetzt bei der Stange und begann, sich im Takt zu wiegen. Erlendur sah zu ihr hinüber und wandte sich dann wieder dem »Hohoho« zu.
»Ich versuche nur herauszufinden, ob sie hier bei euch jemand kennt. Erinnerst du dich an eine junge Frau, auf die diese Beschreibung zutreffen könnte?«
»War sie Isländerin?«
»Vermutlich.«
»Wir haben nur ausländische Mädchen hier. Mit den isländischen gibt es nur Ärger. Moment, geht es um das Mädchen aus dem Heimatzoo?«
»Zoo?«
»Ja, diesem Zoo mit den einheimischen Tieren.«
»Sie wurde auf dem Friedhof gefunden.«
»Ach so. Mir hat jemand gesagt, sie wäre im Heimatzoo gefunden worden.«
»Ich habe ein Bild von ihr dabei«, sagte Erlendur. Er zog das Foto aus der Tasche, das man gegen Abend im Leichenhaus vom Kopf der Toten gemacht hatte. Make-up, Lidschatten, Lippenstift und Rouge waren entfernt worden. Das Gesicht war bläulich weiß. Der Mund bestand aus einem dunklen Strich unter der Nase, und die schwarzen Augenbrauen wirkten wie kleine Pinselstriche über den Augen.
»Dieses Mädchen kenne ich nicht«, sagte der
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