TODESSAAT
bringender Trevor!, dachte Clarke. Durchsichtig wie ein Fenster. In dir kann man lesen wie in einem offenen Buch. Das war doch schon immer deine Masche. Als wolltest du, dass die Leute deine Gedanken ebenso leicht lesen können wie du die ihren, so als würdest du versuchen, deine metaphysische Begabung zu kompensieren, dich beinahe dafür entschuldigen. Trevor Jordan: empfindsam, aber stets entschlossen. Es gibt keinen Menschen, der dich nicht mag, und wenn es einen gäbe, na ja, dann würdest du ihm einfach aus dem Weg gehen. Und wenn du wirklich du bist, weißt du ganz genau, was ich gerade denke.
Jordan grinste. »Du hast ›gut aussehend, feingliedrig und athletisch‹ vergessen! Und was heißt eigentlich ›jungenhaft‹? Willst du damit vielleicht sagen, ich wäre ein großes Kind, Darcy?«
Clarke lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fuhr sich aufgeregt mit der Hand über die Stirn. Sie zitterte. Er wusste nicht, wen er zuerst ansehen sollte, Harry Keogh oder Trevor Jordan. Endlich sagte er: »Was soll ich sagen? Außer ... willkommen daheim, Trevor!«
Nach einigen weiteren Drinks war Darcy an der Reihe. Er erzählte ihnen, was er wusste. Es war nicht sehr viel. Schließlich endete er mit den Worten: »Anscheinend hat Paxton gemeldet, dass ich dir die Akten über diese Mädchen geschickt habe, Harry. Das hat ausgereicht, mich zu suspendieren. Und was die Frage angeht, ob sie hinter dir her sind: Du weißt beinahe genauso gut wie ich, wie das Dezernat arbeitet. Natürlich werden sie früher oder später hinter dir her sein.«
»Hinter mir auch?«, fragte Trevor.
»Nein«, erwiderte Darcy. »Morgen früh werde ich nämlich als Erstes in die Stadt fahren und sie ins Bild setzen. Ich könnte den zuständigen Minister gleich jetzt anrufen, aber um diese Zeit würde er sich dafür nicht gerade bedanken. Also werde ich hingehen und mit jedem reden, der im Dezernat Rang und Namen hat, und sicherstellen, dass sie auch wirklich begreifen, was Sache ist. Es könnte hinhauen und sie Harry eine Weile vom Hals halten.«
»Das hoffe ich doch«, sagte der Necroscope nüchtern. »Und zwar sehr!« Damit setzte er seine Sonnenbrille ab und bat Darcy, das Licht zu dämpfen.
Als der suspendierte Chef des E-Dezernats in dem abgedunkelten Raum Harrys Gesicht sah, sagte er: »Ich hoffe es auch, Harry ... um ihretwillen, für jeden Einzelnen von ihnen!«
Harry nahm Darcy ab, dass er es ernst meinte. Er hielt ihn für einen der wenigen Menschen auf der ganzen Welt, denen er vertrauen konnte. Doch das vampirische Element gewann langsam die Oberhand über den Necroscopen, und als er Darcy Clarke anblickte, sah er lediglich einen Mann vor sich, der zur Hälfte sein Freund, zur anderen Hälfte sein Feind war. Harry konnte nicht in die Zukunft sehen, jedenfalls nicht mit Gewissheit – auf alle Fälle wusste er, dass Vorhersagen zu treffen ein gefährliches, mit Paradoxien befrachtetes Spiel war. Aber er konnte sich verdammt gut vorstellen, was geschehen würde. Wenn er länger als geplant hier in dieser Welt bleiben musste, wenn er für seine selbst gewählte Aufgabe länger als nur noch ein paar Tage brauchte, war es gut möglich, dass Darcy gezwungen wäre, sich auf die andere Seite zu schlagen. Darcy war ein Experte, und da Harrys Verwandlung immer weiter fortschritt, würde das Dezernat auf jede Hilfe angewiesen sein, die es bekommen konnte. Irgendwann würde selbst Darcy sich auf die eine oder andere Art gegen ihn stellen. Ihm würde gar keine andere Wahl bleiben. Früher oder später musste der Überträger der Seuche vernichtet werden. So einfach war das.
»Darcy«, sagte Harry, während er das Licht wieder heller stellte, »falls wir uns jemals als Gegner gegenüberstehen sollten, nun ja, dann wärst du wohl so ziemlich der Einzige, der mich aufhalten könnte! Deshalb habe ich beinahe Angst vor dir. Weißt du eigentlich, dass ich jetzt auch über telepathische Fähigkeiten verfüge? Ehrlich! Deshalb frage ich mich, ob du etwas dagegen hättest, wenn ich mir deine Gedanken mal etwas näher ansehe?«
Darcys Talent registrierte keinerlei Bedrohung. Wie denn auch, Harry wollte ihm ja nichts tun. Er hatte lediglich vor, eine Art Versicherung abzuschließen, die er später wieder aufheben konnte, wenn für ihn keine Gefahr mehr bestand. Dem Menschen Darcy Clarke würde er nicht den geringsten Schaden zufügen, wohl aber seinem Talent. Denn davor hatte der Necroscope Angst: Clarke in dem Wissen gegenüberzutreten, dass er den
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