TODESSAAT
wenn das Nordlicht zu einem bloßen Flackern verblasste und der südliche Himmel sich pechschwarz färbte, würde Sonnunter sein. Bevor es so weit war, wollten Shaithis und sein verderbter, degenerierter Ahnherr ihre Krieger um sich versammeln, ihre Flugtiere besteigen und mit einer kleinen, aber todbringenden Armee von den steilen Lavahängen des Vulkans aus aufbrechen. Endlich sollte sich ihr Traum erfüllen. Für Starside dagegen wäre es der Beginn eines Albtraums. Hunderte von Jahren hatte Shaitan davon geträumt. Jetzt zeichnete sich sein Ziel deutlich vor ihm ab, in greifbare Nähe gerückt von einem einzigen Flugrochen, der vor kurzem mit einem geraubten Travellerkind aus Starside zurückgekehrt war.
Shaithis erinnerte sich an jede noch so kleine Einzelheit – wie sein feixender Ahnherr den erschöpften, halb toten Jungen über den schwefelbedeckten Boden in die Düsternis seiner Gemächer getragen hatte. Danach endlich sein telepathischer Ruf: Komm!
Vor seinem geistigen Auge sah Shaithis alles noch einmal: den Gefallenen, wie er triumphierend und aufgeregt über den schwarzen, gekörnten Boden seiner Wohnräume schritt oder vielmehr schwebte. Noch ehe Shaithis überhaupt fragen konnte, was denn los sei, hatte Shaitan sich auch schon an ihn gewandt: »Dieser Herr des Gartens, von dem du gesprochen hast, dieser fremde junge Mann, der die Kraft der Sonne eingesetzt hat, um die mächtigen Wamphyri zu überwinden ...«
»Ja, was ist mit ihm?«
»Was mit ihm ist?«, gluckste Shaitan finster, auf seine Art vergnügt. »Degeneriert, das ist mit ihm! Genau wie ich – nur hat er einen weit höheren Preis gezahlt. Er hat euch also alle in gleißendes Sonnenlicht getaucht, was? Und das Fleisch der Wamphyri in stinkenden Dampf verwandelt? Nun, sich selbst hat er dabei auch versengt! Wie es aussieht, wurde sein Vampir in Mitleidenschaft gezogen. Er konnte sich nicht mehr selbst heilen und hat das regenerierte menschliche Gewebe abgestoßen wie ein Aussätziger. In höchster Not hat sein Vampir die Gestalt einer früheren Entwicklungsstufe angenommen, diejenige seines ursprünglichen Wirtes. Er war nicht ganz so groß, und so konnte er die Verluste wieder unter Kontrolle bringen. Darum ist dein Herr des Gartens jetzt ein ... Wolf!«
»Ein Wolf?« Verblüfft dachte Shaithis an seinen Traum.
»Ein Tier, ganz recht. Er geht jetzt auf allen vieren. Ein Grauer, ihr Leitwolf, ohne jede Macht außer der Kraft eines wilden Tieres. Die Traveller haben große Ehrfurcht vor dem, der anstelle von Vorderpfoten die Hände eines Menschen hat. Ein kleiner Teil seines Bewusstseins muss menschlich geblieben sein, zumindest was seine Erinnerungen angeht. Sein Vampir hat natürlich ebenfalls überlebt, wie beschädigt er auch sein mag, denn immerhin hat er ihn gerettet. Aber alles Übrige gehört einem Wolf.«
»Ein Wolf«, flüsterte Shaithis abermals. Nun, es war nicht das erste Mal, dass er einen Wahrtraum gehabt hatte. Es war nun einmal eine Fähigkeit, über die die Wamphyri verfügten, mehr nicht. »Und was ist mit seinem Vater, Harry Keogh, dem Höllenländer?«
»Er ist wieder in Starside, aye.«
»Wieder?«
»In der Tat. Nach der Schlacht um den Garten des Herrn ist er in seine Heimat zurückgekehrt. Das konntest du nicht wissen, schließlich warst du da schon in der Verbannung.«
»In seine Heimat? Die Höllenlande?«
»Höllenlande! Höllenlande! Es gibt keine Höllenlande! Wie oft soll ich es dir noch sagen: Dieser Ort hier mit seinem Schwefelgestank, den Vampirsümpfen und den von der Sonne versengten Glutwüsten jenseits der Berge ist die Hölle! Harry Keoghs Welt dagegen wäre für jemanden wie uns das reinste Paradies!«
»Woher wollt Ihr das denn wissen?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich kann es mir vorstellen.«
»Dieser Harry Keogh«, sinnierte Shaithis. »Er verfügte über gewisse Kräfte, aber er war kein Wamphyri!«
»Nun, jetzt ist er einer!«, widersprach Shaitan ihm prompt. »Bislang allerdings unerprobt. Denn mit wem sollte er seine Verschlagenheit und Kampfkraft wohl messen? Mehr noch, bei den Travellern ist er nicht sehr gefürchtet. Er weigert sich nämlich, das Blut von Menschen zu vergießen.«
»Was?!«
»Dem Jungen zufolge«, nickte Shaitan, »ernährt sich der Vater unseres Herrn des Gartens allein von Tieren. Verglichen mit deinem Vampir, mein Sohn, ist er ein einfältiger, wimmernder Waisenknabe.«
»Und die so genannte ›Lady Karen‹?«
»Ah, ja«, nickte Shaitan. »Lady Karen, die
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