TODESSAAT
las es in seiner bleichen Miene und von seinen bebenden Lippen, aber das alles mochte täuschen. Die Gedanken enthielten jedoch für gewöhnlich die Wahrheit. Also griff Harry in seinen Geist hinein, suchte und fand, wonach er gesucht hatte. Selbst unter der beißenden Angst roch er den Unrat in Paxtons Gedanken.
Paxton wusste, dass Harry in seinen Verstand gesehen hatte, er hatte ihn dort gespürt wie einen Eiszapfen in seinem Kopf. Wieder spielte er einen Fisch auf dem Trockenen und begann zu hyperventilieren.
»So, jetzt bist du also sicher«, sagte Harry beißend. »Nun kannst du es deinem Boss berichten. Dann geh hin und sage dem Minister, dass sein schlimmster Albtraum Wahrheit geworden ist, Paxton! Sag es ihm und kündige dann. Hau ab und bleib weg von mir! Nimm diesmal meinen guten Rat an und renn weg, so schnell du kannst. Ich warne dich kein zweites Mal.«
Während das in den Verstand des Mannes einsickerte, schüttelte Harry ihn und warf ihn vom Ufer in das leicht gekräuselte Wasser des Flusses.
Dann erst entdeckte der Necroscope Paxtons geöffnete Aktentasche, die auf einem Baumstumpf gleich neben ihm lag. Mehrere weiße Briefumschläge und ein großer, brauner A4-Umschlag darin zogen Harrys Blicke wie Magnete an. Sie waren an ›Harry Keogh, The Riverside 3‹, usw. adressiert.
Harry blickte noch einmal kurz zu dem wild im kalten Wasser herumstrampelnden ESPer hinüber, der sich im Augenblick außerhalb seiner Reichweite und deshalb auch außer Gefahr befand, schnappte sich die Aktentasche und nahm sie mit nach Hause.
Pech, dass Paxton nicht schwimmen konnte. Dem Necroscopen war es egal.
SECHSTES KAPITEL
Harry blätterte hastig die Akten zu den bewussten Mordfällen durch, fand auch Namen, Heimatort und letzte Ruhestätte der jungen Prostituierten, und begab sich sofort zu ihrem Grab auf dem kleinen Friedhof eines Vororts von Newcastle. Der Necroscope hatte so schnell gehandelt, dass Paxton sich in dem Augenblick, als Harry sich neben Pamela Trotters einfachem Kreuz in den Schatten eines Baums setzte, gerade triefend aus dem Fluss ans Ufer schleppte – mehr als einhundertfünfzig Kilometer entfernt.
»Pamela«, sagte der Necroscope, »ich bin Harry Keogh. Ich glaube, meine Mutter hat dich auf meinen Besuch vorbereitet.«
Deine Mutter und andere, antwortete sie augenblicklich. Ich habe dich erwartet, Harry – und man hat mich auch vor dir gewarnt!
Harry nickte ein wenig traurig. »Mein Ruf hat in letzter Zeit gelitten, das stimmt.«
Meiner hat auch gelitten, kicherte sie. Sechs Jahre lang, um ehrlich zu sein, seit ich vierzehn war und ein ›guter Onkel‹ mir seinen ›kleinen Freund‹ zeigte und mir gesagt hat, wo er hingehört. Na ja, eigentlich habe ich ihn verführt, weil ich bemerkte, dass er jedes Mal einen Steifen hatte, wenn er sich in meiner Nähe befand. Wäre er es nicht gewesen, dann eben irgendein anderer. Ich war einfach so. Wir haben viel herumgespielt, bis uns seine Alte eines Tages erwischt hat, die eifersüchtige alte Schachtel! Ich hab ihn gerade so schön geritten, als sie reinkam. Er hat ihn rausgezogen, aber es war schon zu spät und er hat alles auf den Teppich gespritzt. Ich glaube, sie hatte ihn schon lange nicht mehr abspritzen sehen, und so hatte sie ihn bestimmt auch noch nie hergenommen. Für ihn war’s wohl auch das erste Mal auf diese Art. Aber ich hab eigentlich alles gern gemacht. Es hilft, wenn einem die Arbeit Spaß macht.
Harry schwieg einen Augenblick. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.
Hat deine Mutter dir nicht gesagt, dass ich eine Nutte war, eine Hure? In ihren Worten lag keine Bitterkeit, noch nicht einmal Trauer. Aus diesem Grund war sie Harry gleich viel sympathischer.
»So etwas Ähnliches, ja«, gab er schließlich zu. »Nicht, dass es eine Rolle spielen würde. Da unten muss es ja eine verdammt große Anzahl von euch geben!«
Sie lachte. Damit gefiel sie Harry noch ein wenig besser. Das älteste Gewerbe eben, sagte sie.
»Aber eines Nachts vor fast acht Wochen hat es sich gerächt, oder?« Er hatte das Gefühl, bei ihr gleich zur Sache kommen zu können.
Ihre scheinbare Gleichgültigkeit fiel augenblicklich von ihr ab. Deshalb ist es aber nicht passiert, sagte sie. Ich hab ihn nicht aufgerissen. Und er wollte mich sowieso nicht haben ... nicht auf die normale Weise.
»Es war nur eine Vermutung«, sagte Harry schnell. »Sollte kein Vorwurf sein, und ich bin auch nicht darauf erpicht, schmerzhafte Erinnerungen zu wecken.
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