TODESSAAT
nicht einmal geahnt, dass er dazu noch fähig war, aber etwas in ihm verstärkte seine Gefühle in einem Maße, dass sie weit über die eines gewöhnlichen Menschen hinausgingen. Und – solange es um solch menschliche Gefühle ging, gab es keine Gefahr.
Darcy Clarke war vorgetreten und berührte den Arm des Necroscopen. »Harry?«
Harry schüttelte ihn ab. Seine Stimme klang hart und ein wenig erstickt, als er heiser hervorstieß: »Lass uns in Ruhe! Ich will unter vier Augen mit ihr sprechen.«
Clarke trat mit hüpfendem Adamsapfel einen Schritt zurück. Doch nach einem gründlichen Blick auf Harrys Miene standen auch ihm Tränen in den Augen. »Selbstverständlich«, sagte er, wandte sich ab, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Harry zog sich einen der Stühle mit Metallgestell heran, die vor den Regalen standen, und setzte sich neben das tote Mädchen. Dann nahm er vorsichtig ihren Kopf in seine Arme.
Ich ... das kann ich fühlen, sagte sie erstaunt.
»Dann kannst du auch fühlen, dass ich nicht so bin wie er«, antwortete Harry laut. Er zog es vor, auf diese Art mit den Toten zu sprechen, weil es ihm natürlicher vorkam.
Der größte Teil ihrer Angst war nun verflogen. Der Necroscope hatte sie beruhigt, kam ihr wie ein sicherer Hafen vor. Er hätte auch ihr Vater sein können, wie er ihr Gesicht streichelte. Doch den hätte sie nicht mehr gespürt. Nur Harry Keogh vermochte die Toten auf diese Weise zu berühren. Nur Harry, und ...
Wieder stieg das Entsetzen in ihr hoch. Doch er erkannte das rasch und beruhigte sie erneut: »Es ist vorbei – du bist in Sicherheit. Wir werden – ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal verletzt wirst.« Das war mehr als ein Versprechen; es war ein Schwur.
Nach einer Weile beruhigten sich ihre Gedanken. Trotzdem klang sie verbittert, als sie sagte: Ich bin tot, aber er – dieses DING – lebt weiter!
»Das ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin«, sagte Harry. »Denn du warst nicht die Einzige! Es gab andere vorher, und wenn wir ihn nicht aufhalten, wird es nach dir weitere geben. Es ist ausgesprochen wichtig, dass wir ihn erwischen, denn er ist nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Nekromant. Daher ist er viel gefährlicher als beide zusammen genommen. Ein Mörder raubt Leben, und ein Nekromant quält die Toten. Aber dieser hier weidet sich an der Angst seiner Opfer sowohl vor als auch nach ihrem Tod!«
Ich kann nicht über das sprechen, was er mit mir gemacht hat, sagte sie schaudernd.
»Das musst du auch nicht!« Harry schüttelte den Kopf. »Im Augenblick bin ich nur an dir interessiert. Ich bin sicher, es gibt Menschen, die sich deinetwegen Sorgen machen! Wir müssen zuerst einmal wissen, wer du bist, um sie benachrichtigen zu können.«
Glaubst du, sie werden jemals darüber hinwegkommen, Harry?
Das war eine gute Frage. »Wir müssen ihnen nicht alles sagen«, antwortete er. »Ich kann es so hindrehen, dass sie nur erfahren, dass dich jemand ermordet hat. Sie werden nicht erfahren, auf welche Weise.«
Bringst du das fertig?
»Ja, wenn du das wünschst?«
Auf jeden Fall! Sie seufzte innerlich auf – für ihn deutlich hörbar. Das war das Schlimmste, Harry: an meine Angehörigen denken zu müssen und wie sie es aufnehmen würden! Wenn du es ihnen erleichtern kannst ... Ich glaube, ich fange an zu verstehen, warum die Toten doch so lieben. Ich heiße Penny. Penny Sanderson. Und ich wohne – wohnte ...
... Und so ging es voran. Sie erzählte dem Necroscopen von sich, und er prägte sich alles genau ein. Das hatte Darcy Clarke erreichen wollen, aber Harry war damit noch nicht zufrieden. Als Penny Sanderson ihren Bericht beendet hatte, wusste Harry, dass er noch einen Schritt weiter gehen musste.
»Hör zu, Penny«, sagte er. »Ich möchte, dass du jetzt nichts tust oder sagst. Versuch nicht, mit mir zu sprechen. Es ist sehr wichtig!«
Geht es um IHN?
»Penny, als ich dich zum ersten Mal berührte und du glaubtest, er sei zurückgekehrt, da hast du dich unbewusst an das erinnert, was geschehen ist. Jedenfalls an Teile davon. Es war wie ein kurzes Aufflackern von Erinnerungen. Das geschah in der Totensprache, und ich habe es vernommen. Aber nur sehr chaotisch, wie ein Kaleidoskop von Erinnerungsfetzen.«
Aber das war alles, sagte sie. So hat es sich abgespielt.
»Okay, das ist gut, aber ich muss es noch einmal sehen. Je besser ich es mir einprägen kann, desto größer ist meine Chance, ihn aufzuspüren. Du musst mir nichts
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