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Todessaat

Titel: Todessaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Arnout Smith
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Drängeln.« Er entfernte sich einen Schritt vom Tisch. »Wir sind hier fertig... Nicht du, Grace. Du kommst mit mir.«

10
    S ie folgte ihrem Onkel vorbei an einer grauen Stellwand mit angehefteten Notizen. Auf der anderen Seite befanden sich mehrere Arbeitsplätze mit Zugang zu einem Balkon, der um die Räumlichkeiten des FBI verlief. Die Schweigsamkeit des Onkels ließ ihr Zeit, um sich jeden Fehler, den sie in ihrem Leben gemacht hatte, nochmals ins Gedächtnis zu rufen. Er lief immer weiter, sodass sie auch noch Gelegenheit hatte, sich jeden Fehler, den er jemals begangen hatte, ins Gedächtnis zu rufen. Als er dann schließlich die Bürotür öffnete und ihr bedeutete, sich zu setzen, war sie wieder sie selbst.
    Unsicher stand er da und fragte sich, ob er sie umarmen sollte. Grace tat so, als ob sie etwas in ihrer Tasche suchte. Dann ließ sie sich in den Stuhl gegenüber von ihm sinken. Als sie aufsah, saß auch er hinter dem Schreibtisch.
    Er wirkte kleiner, irgendwie geschrumpft. Ein Knopf an seinem Hemd war lose, und er müsste sich mal wieder rasieren. »Danke, dass du gekommen bist.«
    »Hatte ich denn eine Wahl?« Sie verschränkte die Arme.
    Einen Moment lang betrachtete er sie ausgiebig. »Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas hätte tun können, das daran etwas geändert hätte.«
    Grace wandte den Blick ab. Die Wände waren frei von persönlichen Dingen bis auf ein gerahmtes Foto eines wesentlich jüngeren Petes in einer SWAT-Gruppe. Doch die Aktenschränke hinter ihm waren voll mit Familienfotos. Ihr
Blick ruhte auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie von drei hageren Jungs mit dunklen Augen in nassen Badesachen, die die Arme umeinandergelegt hatten. Ihr Körper wusste es, bevor ihr Geist es registriert hatte. Hitze schoss durch ihren Körper und drückte von innen gegen ihre Augen. Ihr Vater lächelte in die Kamera. Er war der Junge in der Mitte, und ihm fehlte ein Zahn.
    »Er hat immer zu dir aufgeschaut.« Ihre Stimme versagte.
    »Als dein Vater mit Lottie durchbrannte...«
    »Wir wurden von beinahe jedem Familientreffen ausgeschlossen und warum? Weil er außerhalb des Glaubens geheiratet hatte? Außerhalb der portugiesischen Gemeinde? Verschon mich damit.«
    »Du weißt doch gar nicht, wie es war.«
    »Ich weiß ganz genau, wie es war. Ich habe es erlebt. Es ist die erste Geschichte, die ich im Leben gehört habe.«
    Ihr Vater, Marcos, der mittlere Sohn und zwei Jahre jünger als ihr Onkel Pete, hielt eines Abends auf dem Heimweg spontan an einer Bar namens Der weite Horizont an, nachdem er sein Boot gesäubert hatte. Er war dreiundzwanzig Jahre alt.
    Zuvor war er drei Monate lang auf See gewesen und hatte Tunfisch gefangen. Wettergegerbt, erschöpft und mit trockenem Mund. Dieser trockene Mund war es, der ihn in dieser Nacht in Schwierigkeiten gebracht hatte, aus denen er nie wieder so recht herauskam. Zumindest nicht problemlos.
    Nicht bis zu der Nacht, in der er für immer verschwand.
    Aber in jener Nacht, am Anfang von allem, blinzelte der schüchterne, zielgerichtete Marcos - ein Mann, dem sonst Spontaneität nicht gegeben war - in den plötzlichen Glanz des Scheinwerfers, als Lottie mit Netzstrümpfen über die staubige, klebrige Bühne tänzelte; das platinblonde Haar flatterte und glänzte in der Luft. Unerklärlicherweise hatte
er sich nur Stunden später dazu entschieden, mit ihr nach Las Vegas zu fahren und zu heiraten.
    Auf dem verblassten Foto ihrer Eltern, das in dem Tempel der Liebe aufgenommen worden war und das Grace nun besaß, stand Marcos in seinen verdreckten Jeans mit glasigen Augen und offenem Mund, wie vom Donner gerührt da, während sich Lottie an ihn lehnte. Ihr Lycraoberteil versteckt durch den gelben Regenmantel, den er ihr als Schleier gegeben hatte. Sie hatte den Kopf schief gelegt. Auf ihrem Gesicht lag ein triumphierendes Lächeln, doch die Linien um ihre Augen und Lippen waren die einer erschöpften Frau, als ob sie den größten Fisch geangelt hätte, nach einem langen und grauenvollen Kampf auf offener See.
    »Er war mit einer portugiesischen Schönheit aus einer guten Familie verlobt«, sagte Onkel Pete schwach.
    »Nun ja, ich glaube, deine Frau ist über ihn hinweggekommen.«
    »Ich habe ihr Trost gespendet.«
    Grace warf die Hände in die Luft. »Alles, was ich sage, ist, dass die Leitung schon lange gekappt worden war, bevor ich ins Spiel kam, und du - du warst der Lieblingssohn, der bevorzugte Sohn, der Älteste. Ein Wort von dir und die Dinge wären anders

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