Todesschach
auf dem Stuhl gelegen hatte. Thorn versuchte, in sein Blickfeld zu geraten, aber Kern sah einfach an ihm vorbei.
Da wurde es Thorn zuviel. Er stand auf und setzte sich auf den freien Stuhl an Kerns Tisch.
»Tut mir leid, Kern, aber ich muß mit Ihnen sprechen.«
Kern blickte weiter in seine Zeitung.
»Sie sind unvorsichtig, Thorn. Wissen Sie nicht, daß man uns auf Schritt und Tritt beobachten läßt? Ich konnte meinen Verfolger abschütteln, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis man mich wieder findet.«
»Hier sind wir sicher. Ich habe nur einige Fragen.«
»Aber schnell, Thorn.«
»Sie wissen, daß man Mira verhaftet hat?«
»Sie und eine Menge andere, ja, ich weiß. Derek Fall hat sie verraten. Er sitzt im Gefängnis – und das ist besser für ihn.«
»Derek Fall?« Thorn kannte den Namen nicht. »Nun wissen wir wenigstens, wer es war.«
»Es ändert die Lage nicht. Wir sind keinen Schritt weitergekommen, und niemand weiß, wie lange die Regierung Grödig noch regieren läßt. Der Spaß kann jeden Tag vom Programm abgesetzt werden, und dann haben wir keine Chance mehr. Aber was erzähle ich Ihnen da? Sie haben sich ja abgesetzt, seit Mira nach Io geschickt wurde.«
»Keineswegs, ich war nur vorsichtig. Ich bin bereit, jetzt wieder aktiv mitzuarbeiten. Bestellen Sie das unseren Auftraggebern. Jederzeit.«
Kern sah Thorn lange an.
»Warum eigentlich, Thorn? Gibt es für Sie einen vernünftigen Grund, Grödig zu helfen? Sie wissen, was er plant? Warum sind Sie für ihn?«
Thorn wartete, bis der Ober Kern das Bier gebracht hatte, und bestellte sich ein neues.
»Aus dem gleichen Grund wie Sie, glaube ich wenigstens. Sie sehen mir zu intelligent aus, um eine Diktatur zu wollen. Also verfolgen Sie einen anderen Zweck. Schocktherapie, nicht wahr?«
Kern nickte.
»So ungefähr. Viele denken so. Sie sind es leid, sich bis zu ihrem Tod zu langweilen, und ein Mann ohne Aufgabe muß sich langweilen. Die Aufregungen, die uns die Videoshows bieten, sind nur ein Ersatz für wirkliches Erleben, für echte Aufgaben. Aber einen amtierenden Diktator aus dem Sattel zu heben – das nenne ich eine Lebensaufgabe. Nur müssen wir ihn erst hineinheben, Thorn. Habe ich recht?«
»Sie sind leichtsinnig, so zu mir zu sprechen, Kern. Warum vertrauen Sie mir?«
Kern schüttelte den Kopf.
»Sie mißverstehen mich natürlich. Was ich eben sagte, ist lediglich Ihre Ansicht zur Grödigangelegenheit – beweisen Sie mir das Gegenteil. Sie sehen, ich bin vorsichtig genug, falls jemand mitgehört hat.«
Thorn mußte lächeln.
»Sie sind sehr klug, aber ich glaube doch, daß wir uns verstehen. Also, ich möchte wieder mitmachen, aus den gleichen Gründen wie Sie. Können Sie den Kontakt wieder herstellen? Ich habe keinen festen Wohnsitz, kann also wieder gut Kurier spielen. Und vielleicht ergibt es sich, daß ich einmal einen der führenden Männer der Organisation kennenlerne. Es wäre mein sehnlicher Wunsch.«
»Grödig steckt nicht dahinter, denn er hat ja keine Ahnung davon, daß er eine Marionette ist. Er würde nicht schlecht staunen, wenn man ihn aufklärte. Vielleicht würde das sogar genügen, den erwünschten Schock zu bewirken. Man sollte darüber nachdenken.«
Thorn trank von seinem Bier.
»Ein faszinierender Gedanke, Kern. Jemand müßte Grödig einen Besuch abstatten – aber wie? Der Palast ist hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Niemand kann in ihn eindringen, ohne sofort erwischt zu werden. Außerdem glaube ich nicht, daß die Organisation damit einverstanden wäre. Wir kennen ihre Absichten nicht.«
Kern sagte gleichmütig:
»Dann sollten wir es eben von uns aus versuchen, Thorn. Ich habe lange darüber nachgedacht und glaube, es gibt eine Möglichkeit. Zufällig kenne ich jemanden, der mir behilflich sein könnte. Aber ich tue es allein. Sie dürfen sich da nicht einmischen. Es ist aber gut für mich, wenn jemand weiß, was ich plane. Wenn etwas schiefgeht, kann er dort weitermachen, wo ich aufhören mußte.«
»Sie wollen zu Grödig?«
»Ja, das will ich. Nur wenn er von dem Spiel weiß, das mit ihm getrieben wird, kann er die richtigen Konsequenzen ziehen. Er kann nur dann zur Macht streben, wenn er weiß, daß er gar nicht an der Macht ist. Er muß das Spiel weiter zum Schein mitmachen. Die Organisation muß das Personal des Palastes ausschalten und ersetzen, ohne daß die Welt es bemerkt. Und dann kann Grödig handeln, richtig handeln. Seine Befehle gehen über uns und werden
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