Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
auftauchte. Fannars Bemerkungen über Flüche und Tod und Bellas Gerede mussten diese Sinnestäuschung hervorgerufen haben. Das war alles. Wobei es sich nicht leugnen ließ, dass die Atmosphäre an Bord ziemlich unheimlich war. Kein Wunder, bei dem, was hier vor kurzem passiert war. Ungelöste Rätsel waren wie Wasser auf die Mühlen der Phantasie. Das wusste sie nur zu gut. Es war einfach nur Einbildung gewesen. Wie sonst war es möglich, dass sie auf der anderen Seite des Bettes Kinderfüße gesehen hatte? In Kätzchensocken.
4. Kapitel
»Ich will das Bild von Sigga Dögg hierhinkleben. Dann sehen wir sie immer, wenn wir schlafen gehen, und können ihr einen Gutenachtkuss geben.« Arna hielt das Foto ihrer kleinen Schwester an den Bettkopf. »Ist es in der Mitte?«
Lára stellte sich ans Fußende und visierte die Stelle an.
»Ja, genau in der Mitte.« Sie setzte sich zu ihren Töchtern aufs Bett. »Halt mal die Ecken weg, damit ich es festmachen kann.« Sie klebte kleine graue Gummistückchen unter die Ecken und drückte dann fest dagegen. »So.« Anschließend steckte sie die Haftkleber wieder in Bylgjas Schulranzen und machte ihn zu. »Morgen müsst ihr ein bisschen lernen. Ich habe eurer Lehrerin versprochen, dass ihr den Stoff auf der Reise nachholt, und diese Extrabootsfahrt ändert nichts daran.«
Sie lehnte sich ein wenig zurück und betrachtete das Foto. Ihre zweijährige Tochter schaute sie lächelnd an, sorglos und glücklich, von der Schaukel, die Ægir im Garten aufgestellt hatte. Wie hypnotisiert starrte Lára in das runde Gesicht ihrer kleinen Tochter und wurde traurig. Bestimmt wegen des missglückten Telefongesprächs mit ihren Schwiegereltern, die auf die Kleine aufpassten. Sie hatte sie von Deck aus angerufen, als die Yacht gerade losgefahren war, um sich von Sigga Dögg zu verabschieden, bevor sie keinen Empfang mehr hätten. Aber ihre kleine Tochter hatte nicht richtig verstanden, worum es ging, was vielleicht auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Doch als Lára jetzt in ihr Gesicht schaute, fand sie, dass sie es der Kleinen besser verständlich hätte machen sollen. Ihr deutlich sagen sollen, wie lieb alle sie hatten und dass sie ein braves Mädchen sein sollte. Ein guter Mensch.
Lára schüttelte sich, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen. Das war viel zu melodramatisch und außerdem zu spät, sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen – sie hatten nach Aussage des Kapitäns erst ein paar Seemeilen vor Island wieder Empfang. Auf dieser Fahrt würde es keine weiteren Telefonate mit Sigga Dögg mehr geben, da Ægir es nicht geschafft hatte, sich um die Telefonverbindung an Bord zu kümmern.
»Mama, mir ist schlecht«, jammerte Bylgja, die neben ihrer Schwester lag. Ihre Brille saß schief auf ihrer kleinen Nase, und sie war viel blasser als sonst. Lára musste sie nur mit ihrer Schwester vergleichen, um zu sehen, dass das nicht an der Beleuchtung lag.
»Du bist seekrank«, sagte Arna und schaute ihre Schwester vorwurfsvoll an. »Du wirst kotzen und kotzen und kotzen.«
Lára strich Bylgja über die feuchte Stirn. Sie hatte keine Ahnung, was man gegen Seekrankheit machen konnte. Natürlich hätten sie sich vor der Abfahrt informieren sollen, aber es war alles so überstürzt gewesen. Wahrscheinlich kamen noch mehr solche Dinge auf sie zu, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Der Kapitän kam bestimmt mit allen möglichen und unmöglichen Umständen zurecht, darunter auch Seekrankheit.
»Man muss sich nicht ständig übergeben, wenn man seekrank ist, Schatz«, sagte sie. Bylgja war über diese erdichtete Information ihrer Mutter sichtlich erleichtert. »Leg dich einfach hin, ich hole einen nassen Waschlappen für deine Stirn. Vielleicht solltest du auch ein bisschen Cola trinken. Das hilft manchmal gegen Übelkeit.«
»Nein, danke.« Bylgja verzog das Gesicht und wollte überhaupt nichts zu sich nehmen. »Mein Bauch ist so komisch.« Sie schaute ihre Mutter flehend an. »Ich will nicht kotzen und kotzen und kotzen.«
»Niemand will das, Schatz. Wenn du dich hinlegst, passiert das bestimmt nicht.«
Lára holte im Bad einen Waschlappen und nahm zur Sicherheit einen kleinen Mülleimer mit. Sie fühlte sich selbst nicht besonders gut – das Schaukeln und Wogen verursachte ein Gefühl, wie wenn man von zu vielen Zigaretten einen Kater hatte.
»Bylgja glaubt, dass wir untergehen«, sagte Arna in jenem klagenden Tonfall, den die Mädchen anschlugen, wenn sie
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