Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
geröteten Wangen erschien und sich wenig begeistert umschaute. »Mann, ist das geschmacklos! Und ich dachte, der Kahn wäre so toll.« Dann entdeckte sie das Bild von Karítas. »Oh Gott, diese Schnepfe! Die war mit mir in der Schule, die ist total hirnlos.«
Dóra konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie Fannars pikiertes Gesicht sah. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass es besser war, Bella nicht die Gelegenheit für weitere Bemerkungen zu geben – sie konnte ein richtiges Schandmaul sein, besonders, wenn es am wenigsten angebracht war. Fannar war bestimmt nicht der Typ, der damit umgehen konnte.
»Wo sind die Kabinen? Sollen wir uns die als Nächstes anschauen?«, fragte sie und wandte sich dann an Bella: »Mach hier drinnen ein paar Fotos von den Sachen, die die Leute zurückgelassen haben.«
Sie gingen unter Deck, wo sich die Schlafkabinen befanden. Fannar hatte recht: Sie waren schicker als in einem Hotel. Zumindest schicker als in den Hotels, in denen Dóra bisher abgestiegen war. Insgesamt gab es vier geräumige Passagierkabinen, vier Kabinen für die Besatzung und das Dienstpersonal und eine weitere hinter dem Maschinenraum für den Schiffsmechaniker. Diesmal war kein Dienstpersonal an Bord gewesen, da es sich nicht um eine normale Vergnügungsfahrt gehandelt hatte. Zwei Mannschaftskabinen sahen benutzt aus, und Fannar erzählte, dass in der Kabine des Schiffsmechanikers auch jemand geschlafen habe. Zudem waren zwei Passagierkabinen eindeutig benutzt worden. Die Eltern mussten in dem größten Raum geschlafen haben, denn die Kleidung, die aus dem Koffer auf dem Fußboden quoll, konnte nur Lára, Ægirs Frau, gehören.
Auf dem ungemachten Bett lagen zwei Malbücher und zahlreiche Wachsstifte. Dóra hob die Malbücher auf und blätterte darin. Die Mädchen hatten ziemlich viele Seiten ausgemalt – war das ein Zeichen dafür, dass sie einen Großteil der Fahrt an Bord gewesen waren, oder hatten sie einfach nur schnell gemalt? Die Bücher waren jeweils auf der ersten Seite in Schönschrift mit den Namen Arna und Bylgja gekennzeichnet. Beide Mädchen hatten zwölf Bilder ausgemalt und mit dem dreizehnten begonnen. Wenn man die Seiten verglich, sah man, dass alle Bilder in denselben Farben und fast genau gleich ausgemalt waren. Das dreizehnte Bild fiel ins Auge, da die Mädchen es nicht mehr beendet hatten. Ein fröhlicher Elefant balancierte einen großen Ball auf dem Rüssel, und sein niedliches Äußeres bildete einen krassen Gegensatz zu dem ungewissen Schicksal der Mädchen, die versucht hatten, ihm mit bunten Farben Leben einzuhauchen. Sie waren nur bis zu dem Ball und der Hälfte der Decke auf dem Rücken des Elefanten gekommen.
An einer Stelle hatte Bylgja etwas neben ein fertiges Bild gemalt, vielleicht während sie darauf gewartet hatte, dass ihre Schwester fertig wurde. Dóra konnte das Motiv nur schwer erkennen: eine Frau mit langen Haaren, offenem Mund und ausgestreckten Armen und Beinen in einem Kreis. Die Umrisse waren schwarz, nur das Kleid der Frau war grün ausgemalt, und um sie herum war alles blau. Dóra ließ ihre Phantasie spielen und stellte sich vor, dass die Frau in freiem Fall war und durch einen Rettungsring gesehen wurde. Aber wahrscheinlich hätte sie etwas ganz anderes in das Bild hineininterpretiert, wenn sie das Buch an einem anderen Ort gefunden hätte. Sie klappte es zu und legte es zurück aufs Bett.
Einer der Schränke stand offen und gab den Blick auf eine dichte Reihe Kleider frei. Dóra konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie genauer anzuschauen, obwohl sie bestimmt nicht Lára gehörten. Es waren sehr exklusive Kleider, von denen jedes einzelne wahrscheinlich mehr als der Inhalt von Dóras gesamtem Kleiderschrank gekostet hatte. Sie dachte an das ganze Theater, das um solche Klamotten gemacht wurde: endlose Gänge in die Reinigung und ständige Angst, den teuren Stoff zu versauen. Eines der Kleider hatte unten am Saum Flecken – sauteure Kleider bewahrten einen also auch nicht vor kleinen Missgeschicken. Dóra war froh, dass sie keine solchen Kleider besaß, auch wenn es ihr Spaß machte, sie anzuschauen.
Plötzlich blitzte auf dem Boden des dunklen Schranks zwischen den Fransen eines langen schwarzen Kleides etwas auf. Dóra nahm das Kleid vom Bügel und sah, dass sich ein Brillengestell in den Fransen verheddert hatte und jetzt wie abstrakter Schmuck daranhing. Die Brille war unversehrt, aber ziemlich klein für die ehemalige Besitzerin der
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