Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
habt, wollte uns bestimmt jemand auf das Ding hinweisen.«
Er blickte wieder über die Bordwand auf das Treibgut in der Schwärze unter ihnen.
»Hoffentlich treibt der heute Nacht weg, wenn nicht, kümmern wir uns morgen im Hellen darum.«
Loftur nickte, wirkte aber immer noch unzufrieden mit seiner Rolle bei der ganzen Geschichte. Er hatte Ægir geschickt, den Kapitän zu wecken, nachdem sie den im Meer treibenden Container bemerkt, ihn kurz darauf auf dem Radar gesehen hatten und mit ihm kollidiert waren. Obwohl der Aufprall nicht laut gewesen und das Boot nicht stark ins Schlingern geraten war, hatte sich Loftur erschreckt und wollte nicht weiterfahren, bevor Þráinn die Situation beurteilt hatte. Der Kapitän hatte die Sache keineswegs auf die leichte Schuler genommen, was Ægirs Herz noch schneller schlagen ließ. Wenn Þráinn sich Sorgen machte, gab es allen Grund, Angst zu haben. Er war nicht der Typ, der sich von Kleinigkeiten beeindrucken ließ.
»Wenn wir uns nur treiben lassen, kann ich die Wache mit dir gerne übernehmen«, sagte Ægir.
Er nahm die Hand von der Reling und drückte den Rücken durch.
»Wäre das nicht am besten? Wer weiß, ob ihr mich während der Fahrt noch mal zur Nachtschicht einteilen könnt, und so könnten sich Loftur und Halli ausruhen.«
Die beiden Männer sagten nichts, und ihre Mienen ließen sich nicht ergründen.
»Wenn wir morgen aktiv werden müssen, brauchen sie ihren Schlaf. Wir können sie ja jederzeit wecken, falls etwas Unvorhergesehenes geschieht und sie mehr ausrichten können als ich.«
Wieder stieß Ægirs Angebot auf Schweigen. Loftur schien darauf zu warten, dass Þráinn eine Entscheidung traf.
Da presste eine Welle den Container gegen den Schiffsrumpf, und ein dumpfer Knall zerriss die Stille. Ægir überlegte, wie stabil die Yacht wohl war und wie viele solche Schläge sie aushielt. Vielleicht war seine Idee, die Wache zu übernehmen, doch nicht so schlau – er wäre zweifellos völlig überfordert, falls die Yacht leckschlagen sollte. Während er noch darüber nachdachte, nahm Þráinn seinen Vorschlag an.
»Gut, dann wecken wir dich, Loftur, wenn wir dich brauchen. Oder Halli. Gut möglich, dass der Container von der Strömung weggerissen wird, dann ist der Fall erledigt, und es müssen nicht mehr zwei Leute Wache halten. Ist wahrscheinlich sowieso übertrieben, aber man weiß ja nie.«
»Kein Problem«, entgegnete Ægir. Er war schließlich öfter schon mal eine Nacht wach geblieben. »Ich hole mir nur schnell ein Buch.«
In der Kabine schlief Lára auf der zerknüllten Bettdecke. Sie atmete schwer, und ihre Lider zuckten – sie träumte. Ægir setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und flüsterte ihr ins Ohr, er müsse für den Rest der Nacht auf die Brücke. Sie murmelte etwas Unverständliches und drehte sich dann auf die andere Seite. Ægir bezweifelte, dass seine Worte zu ihr durchgedrungen waren, und überlegte kurz, ob er sie wecken sollte, ließ es aber bleiben. Gut möglich, dass sie dann nicht mehr einschlafen könnte und die ganze Nacht wach liegen würde. Auf dem Weg nach oben steckte er den Kopf in die Kabine der Mädchen und sah sie in der Mitte des Doppelbetts in einer eigenartigen Umarmung liegen. Vom Bettkopf lächelte ihn Sigga Dögg an, wie um ihm zu versichern, dass alles in Ordnung sei, dass sie auf ihre Zwillingsschwestern aufpassen würde, so wie er auf die Yacht.
Er schloss die Tür, und das trübe Licht, das aus dem Gang zu den Mädchen hineingedrungen war, verschwand und ließ sie in der stockdunklen Kabine zurück.
Ægir hielt inne, wollte die Tür noch einmal öffnen und das Licht einschalten oder die Tür einen Spalt offen stehen lassen. Aber das war unsinnig: Wenn er Licht machte, würden die Mädchen womöglich aufwachen, und da die Yacht unablässig schaukelte, würde die Tür ständig auf- und zuschlagen. Nach kurzem Zögern machte er sich auf den Weg durch den Gang und blieb dann vor der Außentür stehen. Alles sah ganz normal aus, die Lampen an der Decke waren grell, und alle Türen geschlossen. Sie waren so dick, dass keine Geräusche aus den Kabinen drangen, sogar das Dröhnen der Motoren klang gedämpfter als an anderen Stellen auf der Yacht. Dennoch wurde Ægir das unangenehme Gefühl nicht los, dass er die Mädchen gerade jetzt nicht alleine lassen sollte. Dachte er vielleicht, er sollte an Bord so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen? Als bestünde die Zukunft nur aus Minuten und nicht
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