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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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aus Jahren?
    Auf der Brücke wartete Þráinn. Er drehte ihm den Rücken zu, und Ægir hatte den Eindruck, er hätte etwas ins Funkgerät gesagt und versuche, es zu überspielen.
    »Ist noch eine Meldung gekommen?«, fragte Ægir.
    »Was?« Þráinn runzelte die Stirn, als begreife er die Frage nicht. Dann schaute er zum Funkgerät und sagte: »Meinst du über Funk?«
    Ægir bejahte.
    »Äh, nein, nein«, sagte Þráinn und strich leicht über den Monitor. »Ich glaube, es ist defekt, ich bekomme keinen richtigen Empfang. Und dummerweise spielt das große Funkgerät auch nicht mehr mit. Das, was ihr eben gehört habt, muss mit einem Kurzschluss zusammenhängen. Vielleicht hat der beide Geräte lahmgelegt. Du musst dir jedenfalls keine Sorgen machen, dass du noch mal von einem Funkruf gestört wirst. Die Geräte geben keinen Piep mehr von sich, zumindest nicht, bevor die Jungs und ich sie uns morgen früh genauer angeschaut haben. Es ist etwas Komplizierteres, das kann ich jetzt nicht reparieren.«
    »Ich werde die Geräusche bestimmt nicht vermissen.«
    Ægir starrte das kleine Funkgerät an und hoffte zutiefst, dass der Kapitän recht hätte und es ruhig bleiben würde. Er wollte diese unheimliche Stimme nicht noch einmal hören, vor allem nicht, wenn er alleine war. Allerdings kam ihm die Erklärung des Kapitäns komisch vor – wie sollte ein Kurzschluss dazu führen, dass der Name der Yacht aus dem Lautsprecher der Funkanlage drang? Aber der Mann musste ja wissen, wovon er sprach.
    Ægir beobachtete, wie der Kapitän die Bildschirme kontrollierte. Er hatte sich noch keine Meinung über ihn gebildet – manchmal war er freundlich und dann wieder sehr abweisend. Ægir konnte noch nicht mal sein Alter schätzen. Seine Haare waren noch schwarz und voll, aber sein Gesicht ziemlich verlebt und wettergegerbt. Er war durchtrainiert und wirkte dadurch noch größer. Ægir ging ihm gerade mal bis zu den Ohren. Seine Hände waren gebräunt, und auf seinem rechten Handrücken war ein Netz aus weißen Narben undefinierbaren Ursprungs. Vielleicht von vielen kleinen Schnitten. Ægir wusste nicht, ob das etwas mit der Seefahrt zu tun haben konnte. Schließlich ging er nur jeden Morgen ins Büro, wo die größte Gefahr darin bestand, sich an einem Bogen Papier zu schneiden, während dieser Mann mit unberechenbaren Meeresströmungen und heimtückischem Wetter zu kämpfen hatte. Es gab bestimmt Momente, in denen er sich nicht sicher war, ob er wieder heil nach Hause zurückkehren würde. So war es Ægir noch nie ergangen. Er räusperte sich und fragte:
    »Soll ich draußen oder drinnen anfangen?«
    »Vielleicht ist es am besten, wenn ich zuerst rausgehe.«
    »Muss ich auf irgendwas besonders achten?«
    Þráinn sah sich um.
    »Wir lassen uns treiben, du musst dich also nicht um das Steuerpult kümmern. Das brauche ich dir jetzt nicht zu erklären. Wenn was passiert, holst du mich einfach.«
    Ægir blieb alleine auf der Brücke zurück. Das Buch, auf das er sich so gefreut hatte, hatte jegliche Anziehungskraft verloren. Zumal er im Halbdunkel auf der Brücke ohnehin nicht viel sehen konnte. Obwohl Þráinn weg war, konnte Ægir sich nicht dazu durchringen, sich auf seinen Stuhl zu setzen – das wäre so, als würde er, ein erwachsener Mann, Kapitän spielen. Lieber kauerte er sich auf einen Stuhl in die Ecke, die Füße auf einem kleinen Beistelltisch. Er legte das Buch beiseite, ohne auch nur die Seite zu markieren, auf der er gewesen war.
    Als er sich umschaute, wurde ihm klar, dass die Nacht noch lange nicht vorbei war. Er legte die Hände in den Schoß und sah nichts als kohlrabenschwarze Dunkelheit. Keine Sterne am Himmel, der Mond hinter den Wolken. Die Dunkelheit in der Stadt war nichts im Vergleich zu dieser hier, mitten auf dem Meer, wo alles tiefschwarz, undurchdringlich und unerbittlich war. Er hatte das Gefühl, nach ihr greifen zu können: Wenn er die Hand nur weit genug über die Reling streckte, würde er sie spüren – schleimig, weich und eiskalt wie Tang. Er stand auf und trat unter die Lampe in der Mitte der Kommandobrücke. In seinen Ohren klang immer noch die Stimme aus dem Funkgerät.
    Er bereute es, nicht gefragt zu haben, ob er kurz rausgehen dürfe, um frische Luft zu schnappen oder sich etwas zu trinken zu holen. Egal. Er bräuchte nur zwei Minuten, um schnell in die Küche zu gehen. Am liebsten hätte er ein eiskaltes Bier gehabt, aber das verkniff er sich lieber. Nicht, weil er indirekt am

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