Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
ziemlich deutlich gesagt, dass der Typ ein geiziges Arschloch war. Ich habe ja noch nie auf so einer Yacht gearbeitet, aber laut Halli ist es so, dass der Kapitän am Ende der Tour das Trinkgeld bekommt und an die ganze Mannschaft verteilt. Und da gibt es nun mal zwei Sorten von Kapitänen: Solche, die das Geld gerecht zwischen allen aufteilen, und solche, die sechzig Prozent zwischen sich, dem Steuermann und dem Schiffsmechaniker aufteilen und den anderen den Rest geben. Das klingt vielleicht nicht so wild, aber wenn man mit solchen Snobs unterwegs ist, sind manchmal zwölf Leute mit Navigieren, Kochen, Putzen und Bedienen beschäftigt. Und dann macht es einen großen Unterschied, wie das Trinkgeld aufgeteilt wird. Auf der Lady K bestand die Mannschaft meistens aus zehn Leuten, die Offiziere bekamen jeweils zwanzig Prozent, und die armen Schweine mussten die restlichen vierzig Prozent unter sich aufteilen. Als Mechaniker gehörte Halli zur zweiten Gruppe. Und wir reden hier nicht von ein bisschen Kleingeld. Das Trinkgeld war oft höher als der Lohn und dazu noch steuerfrei.«
Dóra verkniff es sich, ihn darauf hinzuweisen, dass seine Interpretation der Steuergesetze ziemlich leger war.
»Normalerweise hätte Halli mit so einem Kapitän nicht mehr als zwei Fahrten gemacht. Aber er blieb etwas länger, weil die Isländerin, der die Yacht gehörte, ihn gerne dabeihatte, damit sie ab und zu Isländisch sprechen konnte. Damit sie sich über die anderen an Bord lustig machen konnte, ohne dass sie es verstanden und so. Aber das allein reichte natürlich nicht, und Halli hörte auf, sobald er einen neuen Job hatte.«
»Hatte er danach noch Kontakt zu Karítas?«
»Nein, um Himmels willen!«, lachte Snævar und wirkte jetzt ganz gelöst. »Das war keine wirkliche Freundschaft, da haben Sie mich völlig falsch verstanden. Auf solchen Yachten mischt sich die Mannschaft nicht unter die Besitzer und ihre Gäste. Halli hat vielleicht mal ein paar Witzchen mit Karítas gerissen, aber mehr nicht. Wenn ich mich recht erinnere, hat er sie danach nur noch einmal von weitem gesehen. Da war er auf einer anderen Yacht und hat sie vor einer Insel im Mittelmeer an Deck der Lady K gesehen. Kurz darauf hat er wieder angefangen, auf Trawlern zu arbeiten.«
»War er nicht mit ihr auf Facebook befreundet?«
»Facebook? Halli war nicht auf Facebook.«
»Noch eine Frage«, sagte Dóra zögernd, da sie befürchtete, dass er langsam die Nase voll hatte und doch nicht zu ihr in die Kanzlei kommen würde, wenn sie so weitermachte. »Was glauben Sie, was passiert ist? Sie kennen das Schiff ja ein bisschen und können sich die Ereignisse vielleicht besser ausmalen.«
Snævar wartete einen Moment, bevor er antwortete. Vielleicht ging er im Geiste noch einmal alle Theorien durch, über die er bereits nachgedacht hatte.
»Also, wenn einer, zwei oder drei Leute verschwunden wären, gäbe es jede Menge mögliche Erklärungen. Aber alle? Dazu fällt mir nicht viel ein. Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass sie geglaubt haben, die Yacht geht unter, und sie kommen nur lebend davon, wenn sie von Bord springen. Vielleicht hatten sie Angst, dass die Yacht explodiert, wobei es unwahrscheinlich ist, dass die Besatzung und der Kapitän das geglaubt haben. Die müssten es besser wissen. Und sie sollten auch in der Lage sein, zu beurteilen, ob das Schiff untergeht oder in Gefahr ist, deshalb waren sie vielleicht nicht dabei, als es passiert ist. Aber was ist dann mit ihnen geschehen? Wie Sie hören, bin ich zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen.«
»Aber nehmen wir mal an, es wäre so gewesen – warum haben sie dann kein Rettungsboot zu Wasser gelassen?«
»Das fragen Sie mich? Keine Ahnung. Vielleicht dachten sie, sie hätten nicht genug Zeit dafür. Vielleicht war ein anderes Schiff in der Nähe, das sie aufgenommen hat. Was weiß denn ich?«
»Noch eine letzte Frage. Warum konnten die Mannschaft oder die Passagiere die Situation so falsch einschätzen? Geht zum Beispiel eine Warnsirene los, wenn der Rumpf leckschlägt oder etwas Derartiges passiert? Vielleicht gab es ja einen Fehlalarm.«
»Natürlich gibt es eine Alarmanlage, aber selbst wenn die defekt ist und ein Fehlalarm ausgelöst wird, springt die Mannschaft nicht einfach ins Wasser. Die Passagiere vielleicht, aber nicht die Besatzung. Die würden erst mal überprüfen, was los ist, und nur von Bord springen, wenn das Schiff komplett in Flammen steht. Entweder hat sie
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