Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Steuerpult saß, sondern weil er fürchtete, müde zu werden. Er wollte auf keinen Fall alleine auf der Brücke einnicken. Wahrscheinlich, weil Þráinn ihn dabei ertappen könnte.
In der Küche ging nach einem kurzen Moment das Licht an. Der Kühlschrank gab ein summendes Geräusch von sich, das Ægir zuvor nicht bemerkt hatte, vielleicht weil die Stille jetzt viel intensiver war. Er fühlte sich einsam, dachte darüber nach, Lára zu wecken, um Gesellschaft zu haben, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Dann wären die Mädchen morgen alleine, während Lára und er ausschliefen, und es war unverantwortlich, sie aus den Augen zu lassen. Sie wuchsen zwar schneller, als ihm lieb war, waren aber immer noch klein genug, um etwas Unvorsichtiges zu tun.
Der Kühlschrank war riesengroß und halbleer. Die Vorräte, die sie mit an Bord gebracht hatten, verloren sich in den Regalen, und es war fast unheimlich, wie wenig es war. Würde ihnen unterwegs das Essen ausgehen? Wobei sich die größte Vorratskammer der Welt direkt unter ihnen befand, so dass sie wohl kaum verhungern würden. Ægir schob eine Ketchupflasche zur Seite, in der Hoffnung, dass sich dahinter eine Coladose verstecken würde. Das war nicht der Fall, und dasselbe galt für andere mögliche Verstecke in dem Riesenkühlschrank. Einen Moment lang war er froh, dass Lára nicht da war und ihn nicht ausschimpfen konnte, weil er keine neue Dose in den Kühlschrank gestellt hatte, wenn er vorher eine rausgenommen hatte. Das war ein ständiges Streitthema zwischen ihnen – sie nahmen Dosen aus dem Kühlschrank, und er vertraute darauf, dass sie ihn wieder auffüllen würde. Das Letzte, worauf er Lust hatte, war eine warme Cola. Wie dumm, einen so großen Kühlschrank zu haben und an einer Eismaschine zu sparen. Die hätte alles gerettet.
Genervt holte Ægir im Vorratsraum Cola, doch seine Laune besserte sich wieder, als sein Blick auf die riesige Kühltruhe fiel, die er ganz vergessen hatte. Sie hatten für die Fahrt ein paar Brote, mehrere Pakete Hühnerbrust und Hackfleisch hineingelegt. Sie waren in Eile gewesen, und er erinnerte sich nicht daran, Eiswürfel gesehen zu haben, aber es waren bestimmt noch welche vom Vorbesitzer in der Truhe.
Der große Deckel knarrte, als Ægir die Truhe öffnete. Eiskalter Dampf strömte ihm entgegen. Er fuhr zurück und beugte sich dann hinunter, um zwischen den tiefgefrorenen Lebensmitteln zu suchen.
Erst konnte er die Vorräte in der Truhe gut beiseiteschieben, fand aber keine Eiswürfel. Doch er war stur und wühlte weiter, tiefer und tiefer, immer angestrengter und mit steif gefrorenen Fingern. Währenddessen dachte er darüber nach, wie schlecht konstruiert Kühltruhen waren: Riesenkisten, in denen man nur an die unteren Dinge herankam, wenn man die oberen entfernte. Er war erst in der Mitte der Truhe angelangt, als er auf eine schwarze Mülltüte stieß, die fast den gesamten Platz darunter auszufüllen schien. Ægir piekste mit dem Finger hinein. Vielleicht hatte der Vorbesitzer ja eine Megaparty geplant und kiloweise Eiswürfel besorgt. Aber da war er wohl zu optimistisch gewesen. Es war etwas anderes, Größeres. Wahrscheinlich ein halbes Schwein oder Rinderkeulen. Ægirs zog die Hände zurück und blies seine kalten Finger warm. Warme Cola musste doch reichen.
Lebensmittelpackungen in unterschiedlichen Größen stapelten sich jetzt an den Enden der Truhe, und Ægir verteilte sie wieder. Das war ziemlich schwierig, da die Truhe randvoll gewesen war. Er kämpfte gerade damit, Fischfilets neben die schwarze Tüte zu stopfen, als seine Hand fest gegen das kalte Plastik gedrückt wurde und er den Inhalt der Tüte fühlte. Langsam zog er seine Hand zurück und starrte in die Truhe. Es war, als würde sie atmen – immer noch waberte kalter Dampf heraus. Was zum Teufel hatte er da berührt? Jedenfalls keine Rinderkeule. Und auch kein Schwein. Es hatte sich vielmehr so angefühlt, als streiche er über versteinerte Finger. Er wedelte den Dampf beiseite und versuchte vergeblich zu erkennen, was er durch die schwarze Plastikfolie angefasst hatte. Am liebsten hätte er die Truhe einfach zugeknallt, die Cola genommen und wäre zurück auf die Brücke gegangen. Aber er konnte nicht. Er musste nachschauen.
Als er vorsichtig an der Stelle, die er berührt hatte, ein Loch in die Tüte riss, spürte er, wie furchtbar alleine er war. Er sehnte sich nach Láras Wärme unter der Bettdecke und nach ihren gleichmäßigen
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