Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Freundinnen oder Bekannte hat?«
»Tja, nicht viele. Sie ist so furchtbar beschäftigt, wenn sie im Ausland ist, da bleibt keine Zeit für alte Freunde. Ihr Terminkalender lässt ihr ja kaum Zeit für ihre alte Mutter«, antwortete Begga und lachte wieder ihr lebloses Lachen. »Die einzigen Isländer, mit denen sie auf Reisen zu tun hat, sind die Leute, die für sie und ihren Mann arbeiten. Wenn ich mich recht erinnere, war mal ein Isländer bei der Besatzung der Yacht, und dann hatte sie noch ein isländisches Dienstmädchen oder eine Assistentin oder wie man das nennen soll. Sie war Island und den Isländern gegenüber immer positiv eingestellt, deshalb war die Berichterstattung über sie und ihren Mann nach diesem Finanzskandal ja auch so ungerecht.«
»Erinnern Sie sich an den Namen der Frau, die für sie gearbeitet hat? Ist es dasselbe Mädchen, das mit ihr nach Portugal gefahren ist?«
Dóra klemmte sich den Hörer ans Ohr und reckte sich nach einem Stift. Sie drehte ein Blatt um, auf dem sie sich Notizen über den Fall einer Familie gemacht hatte, die kurz davor war, ihren gesamten Besitz zu verlieren. Das passte ja hervorragend: Die Ursache für das Unglück dieser Leute hing nämlich tatsächlich mit den Finanzexperimenten der Superreichen zusammen.
»Wenn ich nicht mit Karítas persönlich sprechen kann, könnte ich versuchen, ihre Assistentin zu erreichen. Ist sie vielleicht mit ihr in Brasilien?«
»Das hat sie zwar nicht erwähnt, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Karítas meinte jedenfalls, sie wäre alleine, aber vielleicht zählt sie ja Dienstboten nicht mit. Sie ist an solche Hilfe so gewöhnt wie wir an eine Waschmaschine. Ich würde meine Waschmaschine ja auch nicht als Gesellschaft ansehen, auch wenn das vielleicht nicht direkt vergleichbar ist.«
Dóra unterdrückte einen Kommentar angesichts der absurden Idee, Menschen mit einer Waschmaschine zu vergleichen, und sagte:
»Wenn sie nicht in Brasilien ist, dann hält sie sich wahrscheinlich hier in Island auf. Das wäre umso besser, dann könnte ich versuchen, sie zu kontaktieren.«
»Ich weiß nicht, was dieses Mädchen Ihnen sagen könnte. Wer bei meiner Tochter und ihrem Mann arbeitet, muss einen ausführlichen Vertraulichkeitsvertrag unterschreiben, und den würde sie bestimmt nicht brechen. Wobei man bei der nie wissen kann. Ich fand sie immer völlig unmöglich, aber Karítas sah das anders. Ich habe ihr sogar angeboten, ihr zu helfen, damit sie dem Mädchen kündigen kann, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie wollte das Mädchen nicht verletzen und mich nicht ausnutzen. Sie war immer so gutherzig.«
Dóra interpretierte das ein wenig anders. Karítas wollte ihre Mutter bei ihren Reisen wahrscheinlich nicht ständig am Rockzipfel haben.
»Wissen Sie noch, wie das Mädchen heißt?«
»Aldís. Ihren Nachnamen weiß ich nicht.«
Immerhin! Nachdem Dóra sich verabschiedet hatte, musste sie feststellen, dass es 219 Frauen namens Aldís im Telefonverzeichnis gab. Keine Chance, die Richtige zu finden. Mangels einer besseren Idee ging sie auf Facebook, um Karítas auf gut Glück eine Freundschaftsanfrage zu senden. Dóras Seite war nicht aktuell und uninteressant, es gab nur ein Album mit ein paar Fotos von den Kindern, die sie ganz am Anfang hochgeladen hatte. Kein großer Anreiz für Karítas, ihre Freundschaftsanfrage anzunehmen. Entweder gehörte sie zu denen, die alle Anfragen annahmen, oder zu denen, die ihre Freunde sorgfältig auswählten, und dann war es fraglich, ob Dóra durch das Nadelöhr kam.
Karítas’ Seite war unverschlüsselt, und Dóra konnte sie problemlos anschauen. Als Erstes checkte sie, ob Aldís unter den Hunderten von Freunden war, die in Karítas’ Augen Gnade gefunden hatten, fand sie aber nicht. Das sagte einiges über das Verhältnis der beiden aus: Dienstboten zählten offenbar nicht zu Freunden. Ebenso wenig wie Waschmaschinen. Der Rest der Seite war relativ uninteressant, bis auf die Fotoalben. Es gab eine solche Masse an Bildern, dass die Frau entweder jemanden beauftragt haben musste, sie hochzuladen, oder der enge Terminkalender, von dem ihre Mutter gesprochen hatte, erfunden war. Dóra klickte die Fotos schnell durch in der Hoffnung, Aldís oder irgendwelche Infos über sie zu finden. Nach ein paar hundert Fotos war sie total gelangweilt. Die meisten waren von gesellschaftlichen Ereignissen mit aufgetakelten Menschen. Die Frauen schienen manchmal unter der Last ihrer klotzigen
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