Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
und sie ging in ihr Büro. Wenn sie eine solche Lego-Box bei sich zu Hause fände, würde sie sie Orri schenken, ihm vielleicht sogar dabei helfen, die Verpackung aufzureißen. Dennoch konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und ging auf eBay. Nach einigem Suchen fand sie die kostbare Box und war schwer enttäuscht: eine kleine Lego-Figur in einem Batman-Kostüm sowie eine Ansammlung seiner Feinde, plus ein paar Lego-Steine, die ein Haus oder Gefängnis darstellten. Dabei kam einem nun wirklich nicht sofort Profit in den Sinn. Die Auktion lief in einer halben Stunde aus, und Dóra überlegte kurz, ob sie Bella überbieten sollte, um sie ein bisschen zu ärgern, traute sich aber nicht. Lieber machte sie sich an die Arbeit.
Nachdem sie sich eine gute Stunde mit Versicherungsrecht, der Gesetzeslage bei Vermisstenfällen und dem Urteil des Bezirksgerichts Reykjavík über den verschwundenen Mann auf dem Segelboot beschäftigt hatte, wusste sie immer noch nicht, was sie Ægirs Eltern über die Dauer des Verfahrens sagen sollte. Sie wusste nur, dass sich der Fall vor Gericht wahrscheinlich hinziehen würde, falls nichts Neues ans Licht käme, und tröstete sich damit, dass die Lebensversicherung des Isländers am Ende ausbezahlt worden war. Wenn sie den Fall gut vorbereitete, würden sie wahrscheinlich dasselbe Ergebnis erzielen. Dóra rief bei der Polizei an und erkundigte sich nach den Unterlagen, um die sie gebeten hatte, und war froh zu hören, dass sie sie am Nachmittag abholen konnte. Bevor sie auflegte, fragte sie noch einmal nach der an Land gespülten Leiche, bekam aber wieder keine Auskunft.
Nachdem sie sich eine Weile mit dem Bericht für die Versicherung herumgeschlagen hatte, stand sie auf und räkelte sich. Es ärgerte sie, dass sie nicht wusste, warum Ægir und Lára eine so hohe Lebensversicherung abgeschlossen hatten. Außerdem fand sie Ægirs Entscheidung, für ein Besatzungsmitglied einzuspringen, höchst seltsam. Sie hatte mit seinem Chef telefoniert, der sich dunkel daran erinnerte, die Sache aus Sparmaßnahmen befürwortet zu haben. Als Dóra genauer nachfragte, rettete er sich in Ausflüchte. Letztendlich schien es doch keine so große Ersparnis gewesen zu sein: die Kosten für einen ausländischen Seemann für eine Woche, möglicherweise mit einem guten Zuschlag, plus ein Flugticket zurück in seine Heimat. Der Chef sprach von vergleichsweise kleinen Summen, die man eigentlich durchaus hätte ausgeben können. Dann schoss er den Vogel ab und sagte etwas, das Dóra am wenigsten hören wollte: dass Ægir die Entscheidung im Grunde selbst getroffen hätte, weil er unbedingt fahren wollte. Es sei seine Idee gewesen.
Das war der Schwachpunkt bei der ganzen Sache. Jetzt sah es fast so aus, als handele es sich um ein geplantes Untertauchen der gesamten Familie. Und falls sie hohe Schulden hatten, war es noch verdächtiger. Das musste Dóra unbedingt sofort klären. Sie rief Ægirs Eltern an und bat sie, bei Banken und anderen Finanzinstituten Auskünfte über den Schuldenstand ihres Sohnes einzuholen. Die beiden wichen aus, sie wüssten nicht, wie sie das anstellen sollten, und hielten es für schwer durchführbar, bis sie Dóra am Ende eine Vollmacht erteilten, um die Infos einzuholen. Es war zwar fraglich, ob das funktionieren würde, weil das Gerichtsurteil, Ægirs und Láras Besitz als Nachlass zu behandeln, noch ausstand, aber man konnte es immerhin versuchen. Bis dieses Urteil gefällt oder das Ehepaar für tot erklärt wurde, galt bezüglich ihrer Finanzen das Bankgeheimnis. Schlimmstenfalls mussten sie in ihrem Haus nach Quittungen und Rechnungen suchen. Doch das wollte Sigríður noch weniger, und wieder vereinbarten sie, dass Dóra es im Zweifelsfall übernehmen würde. Sigríður bat sie, dann direkt auch ein paar Kleidungsstücke und Spielzeug für die Kleine mitzubringen. Sie würden es sich immer noch nicht zutrauen, das Haus ihres Sohnes zu betreten. Mit dieser Übereinkunft verabschiedeten sie sich voneinander.
Als Dóra sich gerade einen Kaffee holen und Bella nach dem Ergebnis der Internetauktion fragen wollte, klingelte das Telefon.
»Da ist eine Frau, die mit dir sprechen will«, blaffte Bella, und dann war eine ältere Frau in der Leitung, die sich als Begga, Karítas’ Mutter vorstellte.
»Sie waren bei mir zu Besuch, wissen Sie noch? Sie haben mir Ihre Visitenkarte gegeben.«
»Ja, hallo. Wie geht es Ihnen?«
»Gut, gut«, antwortete Begga wenig überzeugend. »Ich
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