Todesschlaf - Thriller
gewachsener
schlanker Mann in Reithosen und Stiefeln, dessen Haare in der Sonne glänzten. An seiner einen Hand baumelte ein schwarzer, mit Samt bezogener Helm, in der anderen hielt er ein Glas Sekt. Dr. Raymond war als Dritter über den Parcours geritten und hatte als Erster eine Null-Fehler-Runde hingelegt.
»Dr. Raymond«, zwitscherte Mary Jane, die Hand nur zweieinhalb Zentimeter von Murphys Jackettärmel entfernt. »Das hier ist Dan Murphy. Er schreibt einen Bericht über die Pferdegala und möchte Sie unbedingt kennen lernen.«
Der durch und durch goldfarbene Kopf drehte sich, aus den Augenfältchen sprach freundliches Wohlwollen, und eine langfingerige Hand streckte sich ihm entgegen.
»Daniel Murphy«, sagte Mary Jane, »Dr. Alex Raymond, Geschäftsführer des Restcrest Place Retirement Center und Mitbegründer der Neurological Research Group.«
Murphy ergriff die dargebotene Hand und war überrascht von der Kraft und den vielen Schwielen, die er dabei spürte.
» Der Daniel Murphy?«, wollte der Doktor mit großen Augen wissen.
Murphy riss sich zusammen, sonst hätte er sich auf der Stelle umgedreht und sich aus dem Staub gemacht. »Der einzige, den ich kenne.«
Der Doktor schüttelte sein von einem Heiligenschein umkränztes Haupt. »Also wirklich. Für mich ist das eine ganz besondere Begegnung. Seit meiner Grundschulzeit habe ich alles von Ihnen gelesen. Sie sind in drei Kriegen verwundet worden, und einmal hat eine Präsidentengattin Sie bespuckt.«
Murphy hätte sich geschmeichelt fühlen sollen. Es war nur so, dass er irgendwie gehofft hatte, Puckett sei so weit hinter dem Mond, dass sein Name hier keine Glocken zum Läuten brachte. Und dann dieser dezente, kleine Hinweis
auf die Grundschulzeit … auf den hätte er gut und gerne verzichten können.
»Sie hat eigentlich gar nicht richtig gespuckt«, sagte er. »Das war eher eine Art Zeichen für ihre maßlose Verachtung. Abgesehen davon - ich kann es ihr nicht verübeln. Ihr Mann war ein netter Kerl.«
»Er war ein Halunke.«
Murphy zuckte mit den Schultern. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Der gut aussehende Doktor lachte. Er hätte zumindest warten können, bis einer von uns etwas Originelles gesagt hat, dachte Murphy.
»Was machen Sie denn hier?«, wollte der Doktor jetzt wissen, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen.
»Ich versuche nach Kräften, mich aufs Altenteil zurückzuziehen.«
Der Doktor lachte schon wieder. »Nun, wir sind jedenfalls hocherfreut, Sie hier zu haben. Mögen Sie Pferde?«
»Nein. Ich mag alte Damen.«
Ein Nicken, ein schneller Blick ans hintere Ende des Zeltes, wo die Organisatoren ein paar der Kranken aufgebaut hatten, die von all dem Aufwand hier profitieren sollten. Eingefallene, verwirrte, an den Rollstuhl gefesselte Gestalten mit leuchtend-bunten Schleifen im spärlich grauen Haar - sie sahen aus wie Geisterboten, die allen Anwesenden bewusst machen wollten, welches Schicksal die Zukunft für sie bereithielt, wenn sie Dr. Raymonds gute Sache nicht mit großzügigen Spenden unterstützten.
Und was machte Dr. Raymond? Er lächelte. »Ich auch.« Und, verdammt noch mal, es klang sogar durch und durch glaubwürdig. »Meine Mutter hat im Alter von zweiundfünfzig Jahren Alzheimer bekommen. Sie durfte nicht einmal ihre Enkelkinder kennen lernen.«
Ja, genau, und das da hinten im Rollstuhl, das war Murphys
Mutter. Er wusste genau, wie so etwas läuft. »Ich habe schon viel über Ihre Arbeit gehört.«
»Eigentlich ist ja mein Partner der eigentliche Forscher. Peter Davies. Er kann Ihnen mehr über die Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit auf das Gehirn erzählen als irgendjemand sonst in den Vereinigten Staaten. Ich kann Ihnen eine kleine Führung durch sein Labor im Price University Hospital organisieren, wenn Sie möchten. Normalerweise wäre er jetzt auch hier, aber er arbeitet gerade an einem Artikel über eine Entdeckung, die er im Zusammenhang mit den fortschreitenden Fett- und Kalkablagerungen im mittleren Krankheitsstadium gemacht hat.« Nach einem Blick in das verständnislose Gesicht seines Gesprächspartners grinste der Doktor. »Ziemlich beeindruckende Geschichte, wenn Sie’s genau wissen wollen.«
Murphy rang sich ein Lächeln ab. »Bestimmt. Und was machen Sie?«
»Ich habe mit den Menschen zu tun. Interventionen, Therapien, Unterstützung Angehöriger. Ich glaube kaum, dass Sie ermessen können, welche Chance die Price University uns hier geboten hat. Im Lauf der kommenden fünf Jahre werden wir
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