Todesschlaf - Thriller
Sheena nur in Begleitung ihrer Dschungelkatzen ausging. Sie lagen ausgestopft und mottenzerfressen und moderig auf dem Krankenbett hinter ihr wie ein Haufen schmutziger Decken.
»… sind genau an dem Nachmittag aufgefüllt worden.«
Hoppla, das riss Timmie blitzschnell aus ihren Träumen. »Entschuldigung, Gladys.Wie war das?«
»Die Medikamente. Die pharmazeutisch-technische Assistentin hat an dem Nachmittag, als Alice gestorben ist, den Schrank aufgefüllt. So etwa um zwei Uhr.«
Sie hatte Timmies ungeteilte Aufmerksamkeit. »Was ist mit dem Lasix, Gladys?«, wollte Timmie wissen und setzte sich auf den Tisch, um sich voll und ganz auf das Gespräch zu konzentrieren. »Kann sie sich an diese Großpackung mit den Lasix-Röhrchen erinnern?«
»Das ist es ja. Sie hat das Lasix um zwei Uhr aufgefüllt, weil Alice nicht auf ihrem Zimmer war. Sie hat vier Großpackungen in den Schrank gelegt. Das Lasix hat also nur von zwei bis fünf, als ich es Alice gegeben habe, in diesem Schrank gelegen.
Timmie hatte Sheena schon längst vergessen. »Das heißt, dass nur eine begrenzte Zahl von Menschen es ausgetauscht haben können.«
»Ja.«
»War Dr. Davies an diesem Nachmittag im Haus?«
»Dr. Davies? Natürlich, aber …« Zuerst klang ihre Stimme noch verwundert, dann empört. »Dr. Davies?«
»Also gut, probieren wir es so. Schreiben Sie die Namen all derer auf, von denen Sie hundertprozentig sicher sind, dass sie anwesend waren. Ihren und die der Tagschicht. Okay?«
»Okay, aber aus der Tagschicht kann es nie …«
Beim ersten Schrei hob Timmie den Kopf. Als sich daran ein wütendes Brüllen anschloss, das ziemlich eindeutig nach »Leckt mich doch am Arsch!« klang, hätte sie Gladys beinahe komplett vergessen.
Sheena hatte ihr Bett hinter sich gelassen. Genau wie ihre Kleidung, sodass einwandfrei feststand, dass ihr Adamsapfel keine optische Täuschung war. Sheena war ausgestattet wie Tarzan. Außerdem hatte sie einen Defibrillator aus der Verankerung gerissen und fuchtelte mit den Elektroden vor einer Pflegehelferin herum. Unglücklicherweise war der Kondensator geladen, und die Elektroden signalisierten blinkend ihre Bereitschaft zur Entladung.
»Gladys?«, sagte Timmie. »Ich rufe zurück.«
Timmie sprang vom Schreibtisch, und Sheena wandte seine Aufmerksamkeit ihr zu. »Die Dinger hier sind tödlich«, sagte er drohend, »und ich werde keine Sekunde zögern, sie einzusetzen. So, und jetzt will ich hier raus.«
Timmie, die mit aller Macht ein dämliches Grinsen unterdrückte, zuckte gutmütig die Schultern und zog die Pflegehelferin beiseite. »Klar.Was soll’s? Viel Spaß.«
»Bist du verrückt geworden?«, sagte Mattie hinter ihr.
»Ach was«, versicherte Timmie leise. »Er hat doch nicht das große, sondern bloß das kleine Gerät erwischt. Die Batterie hält nicht besonders lange. Schon nach einem halben Straßenblock hat er keinen Saft mehr.«
»Aber bis dahin könnte er mit den Dingern ein ganzes Schaf grillen.«
»Bis er das schafft, hat er sich schon längst sein kleines Wiesel abgefroren.«
»Timmie Leary, Leitung eins. Mr. Murphy.Timmie Leary!« Mit einem Blick auf den großen, behaarten, nackten Mann, der das Krankenbett als Geisel genommen hatte, stieß Timmie einen Seufzer aus. »Ich rufe zurück.«
Und dann folgte sie Sheena durch die Tür wie der zweite Wagen eines Festumzuges zur Feier des Nationalen Wiederbelebungstages.
Timmie hatte vermutlich seit Wochen nicht mehr so gelacht. Sie und Mattie waren auf dem Weg nach Hause und schlitterten dabei auf dem Bürgersteig umher wie Sheena, als er mit dem vollbeladenen Krankenhausbett die Einfahrt erreicht hatte. Nachdem sie den Abend mit Mühe und Not überstanden hatten, hatten sie beschlossen, nichts zu riskieren und gar nicht erst zu versuchen, zu Mattie zu kommen, sondern hatten den Reverend angerufen. Sein Telefon funktionierte noch, und sie hatten gesagt, er solle am nächsten Morgen bei Timmie vorbeischauen. Und dann waren sie wie Bergsteiger ohne Steigeisen die ganzen fünf Straßenblocks bis zu Timmies Haus geschliddert.
Nachdem der Sturm das westliche Drittel von Missouri mit einer ungefähr zehn Zentimeter dicken Eisschicht überzogen hatte, hatte er sich gelegt. Die Bäume funkelten und glänzten, Büsche beugten sich vornüber wie alte Männer, und Stromleitungen schlängelten sich Funken sprühend über die glitzernden Straßen, weil sie unter dem Gewicht des Eises einfach gerissen waren. Die Hälfte der Stadt hatte
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