Todesschlaf - Thriller
nicht etwa Joe Learys Tochter, oder doch?«
Timmie strahlte zurück. »Oh, aber ja. Sie kennen ihn?«
Die Frau lachte wie ein Seehund. »Machen Sie Witze? Ich habe ihn ständig drunten in der River Rat Tavern gesehen. Da hat er immer gesungen und Sprüche gemacht. ›I will go and I will go, and I will go to Englishfree.‹«
Tja, das war eine Interpretation, die Timmie bisher noch nie gehört hatte.
»Ganz genau«, sagte sie zustimmend.
Noch ein Lachen und Timmie hatte die Rechnung einschließlich der Liste mit den Telefonverbindungen und den schmutzigen Filmen in der Hand, die Jason sich, während er auf einen Besuch bei seiner Tochter gewartete hatte, zu Gemüte geführt hatte.
»Wahrscheinlich wissen Sie nicht, ob …«
»Ob er mit einer Frau hier war?« Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein.«
Timmie zwinkerte. »Woher haben Sie gewusst, dass ich das fragen würde?«
Sie erntete ein weiteres Seehundbellen. »Machen Sie Witze? Es gibt nur ein einzige Frage, die ich noch öfter zu hören kriege: ›Wo ist der Kondomautomat, Schätzchen?‹«
Timmie war stolz auf sich. Sie las die Liste erst, als sie beim Auto waren. Doch dann merkte sie nicht einmal, wie Murphy den Motor startete und vom Parkplatz fuhr. Zu sehr zog die lange Aufstellung mit Telefonnummern sie in ihren Bann.
Seine Eltern, seine Eltern, sein Steuerberater, sein Anwalt. Selbst nach so langer Zeit kannte Timmie diese verdammte Nummer noch auswendig. Eine Verbindung von altem Geldadel aus St. Louis mit den Gierhälsen aus Los Angeles, einzig zu dem Zweck, sie selbst ohne Umschweife auf die Straße zu befördern.
Sie wusste genau, welche Nummern sie auf dieser Liste lieber nicht sehen wollte. Und ihr Wunsch ging in Erfüllung. Keine Ellen, keine Barb, keine Mattie, kein Alex, keine Cindy. Aber eine Nummer tauchte mehr als einmal auf.
Sie ging die ganze Liste durch und fing wieder von vorne an. Es ergab immer noch keinen Sinn.
»Ich muss unbedingt Meghan anrufen«, sagte sie. »Könnten wir …?«
Dann hob sie den Blick und erkannte, dass sie bereits auf dem Parkplatz des Puckett Independent standen. Der Motor lief nicht mehr, und Murphy zündete sich mit einer Hand eine Zigarette an, während er Conrads Ausdrucke überflog.
»Gehen wir rein?«, sagte sie.
»Gleich. Sherilee will nicht, dass im Büro geraucht wird. Was haben Sie entdeckt?«
Sie wandte sich erneut der Liste zu. »Mich. Ich sitze schon wieder auf der Anklagebank.«
Murphy hob nicht einmal den Blick. »Na, so was. Wollen Sie einfach zum Bahnhof rübergehen oder lieber zu Fuß flüchten?«
Noch einmal schaute Timmie auf die Liste. Kontrollierte die Daten und Uhrzeiten. »Ich war gar nicht zu Hause, als er
angerufen hat. Unmöglich. Aber er hat seiner Mutter erzählt, er hätte mit mir gesprochen.«
»Mit wem könnte er sonst gesprochen haben?«
»Das ist genau die Frage.«
Und dann zählte sie die Tage rückwärts und versuchte zu rekonstruieren, was jeweils um 16.30 Uhr los gewesen war.
»Ach, du Schreck …« Timmie richtete sich auf. Zählte noch einmal, um sicherzugehen, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Lachte, weil ihr nichts anderes mehr übrig blieb. »Nein, das kann nicht sein.«
»Was denn?«
Timmie starrte auf die Wellblechfassade des Gebäudes mit dem großen Schild aus Eichenholz und Bronze, das noch von den ursprünglichen, viktorianischen Druckgebäuden stammte und bei der Flucht vor der großen Flut von 1993 mitgenommen worden war. Sie schaute hinüber zu Murphy, der seine Nase noch immer in diese Ausdrucke steckte. Es war egal. Sie hatte die Lösung bekommen, die sie nicht haben wollte, und sie wollte sie immer noch nicht.
Plötzlich ging ein Ruck durch den neben ihr sitzenden Murphy. »Volltreffer.«
Timmie hörte ihn nicht. Sie überlegte gerade, ob sie zuerst Barb oder Gladys anrufen sollte. Wie konnte sie noch vor Micklind an die benötigten Informationen gelangen? Wie würde es ihr wohl gehen, wenn sie die Wahrheit voll und ganz begriffen hatte?
»Ich wette, Sie wissen, wer es ist«, sagte Murphy unvermittelt.
Timmie schaute zu ihm hinüber und sah das wache Glitzern in seinen Augen und nickte, während sie sich immer noch bemühte, das, was sie erkannt hatte, zu akzeptieren. »Ich weiß es.«
»Ich auch.«
Jetzt endlich hörte sie ihn auch. »Ich weiß«, sagte sie und fing langsam an, es zu glauben.
Trotzdem zeigte Murphy auf den zehnten Fallbericht, den Conrad ihr kopiert hatte. Ein mutmaßlicher Todesengel, der in einem
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