Todesschlaf - Thriller
Jetzt diente ihr der Schläger lediglich dazu, das Gleichgewicht zu halten.
»Ich brauche Hilfe«, gestand sie und machte die Augen zu. Falls sie sie wieder aufschlug, dann würde sie nichts weiter sehen als den Van-Gogh-Druck, den sie aus einem Kalender ausgeschnitten, gerahmt und an die Wand gehängt hatte. Es war eines seiner späteren Werke, voller wilder Energie, verrückter Farben und einem Pinselstrich, aus dem der Wahnsinn sprach. Als ob sie noch zusätzlich darauf gestoßen werden müsste.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Aus dem Hinterzimmer war wieder Jack Bucks Stimme zu hören. Dort hatte man vor zwei Stunden Mrs. Falcon gefunden. Sie hatte sich unter dem Bett verkrochen, nachdem Timmies Dad ihr entwischt war, und von dort die Polizei angerufen. Dort hatte sie auch gekündigt, unmittelbar nachdem Timmie, die dem Telefonkabel nachgegangen war, sie gefunden hatte.
»Bitte«, sagte Timmie jetzt, als ob das etwas nützen würde. »Nur dieses eine Mal.«
Noch eine Pause, die sie beinahe schon hoffen ließ.
»Ich glaube nicht.«
Timmie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. »Ich schaffe es einfach nicht alleine. Das einzige Heim, das mit ihm klarkommen würde, ist zu teuer und wird von der Krankenversicherung nicht übernommen. Ich brauche einen
Kredit, aber die Bank will mir nichts geben. Bitte.«
»Dann hat sich das mit dem mietfreien Wohnen also doch nicht gelohnt, was?«
Timmie schloss die Augen. Spürte die aufsteigende Magensäure im Hals. Rieb sich heftig das Brustbein. »Bitte.«
»Einfach so? Wieso sollte es mich nach so langer Zeit überhaupt interessieren, was mit ihm los ist?«
»Und was ist mit deiner Enkelin, Mom? Interessiert es dich vielleicht, was mit ihr los ist?«
Timmie hörte das Klicken und konnte es nicht glauben. Erst, als das Telefon anfing zu piepsen und eine Stimme vom Band ihr sagte, dass sie, falls sie noch einmal telefonieren wolle, auflegen und es erneut versuchen könne. Sie legte auf. Sie glaubte nicht, dass sie es erneut versuchen konnte.
»Timmie Leary, heute ist dein Glückstag!«, sagte Ellen zur Begrüßung, als Timmie das Foyer betrat.
»Da wäre ich aber nach dem bisherigen Verlauf wirklich nicht draufgekommen«, erwiderte Timmie, stellte ihre Arbeitstasche ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
Ellens schlichtes, unauffälliges Gesicht bekam sofort besorgte Züge. »Dein Dad?«, fragte sie vorsichtig.
Trotz ihrer Erschöpfung fand Timmie noch die Kraft, um sie anzulächeln. »Ja, ich fürchte schon. Heute war einfach kein guter Tag.« Nur eine kleine Untertreibung, und schon war der schlechte Geschmack im Mund verschwunden.
Ellen war eine gute Krankenschwester. Sie spürte die Verharmlosung in Timmies Worten, setzte sich zu ihr und legte ihr eine Hand aufs Knie. »Oh, Schätzchen, das tut mir leid. Kann ich dir etwas Gutes tun?«
Ihn von seinem Leiden erlösen, dachte Timmie spontan, um es umso schneller zu bereuen. Oh Gott, sie musste wahnsinnig erschöpft sein, wenn sie schon solchen Versuchungen nachgab.
»Verrate mir mal ein besseres Versteck für eine Pistole als den Wandschrank im Flur«, sagte sie dann und bereute auch das. Ellen blickte sie entsetzt an. »Ist schon gut«, beruhigte Timmie ihre Freundin. »Nichts passiert.«
»Hast du schon Nachricht von einem Pflegeheim?«
Timmie verzog das Gesicht. »Von Golden Grove. Dem Flaggschiff der GeriSys-Flotte mit ihren Aufbewahrungsanstalten für Alte.«
Ellen schnappte nach Luft. »Oh, Timmie, das kannst du nicht machen. GeriSys ist furchtbar. In drei Bundesstaaten laufen zurzeit Prozesse wegen Vernachlässigung und Betrug.«
»Ich weiß, dass ich das nicht machen kann. Aber irgendwann könnte der Punkt erreicht sein, wo ich es machen muss. Ich habe Angst um Megs, wenn er weiter bei uns wohnt.«
Timmie ließ den Kopf kreisen, um ihre verkrampfte Halsmuskulatur ein klein wenig zu lockern und begann, ihre Sachen für die Schicht aus der Tasche zu holen. Dann dachte sie, dass sie Ellen eigentlich in die Zange nehmen müsste. Dass sie versuchen müsste ihr irgendeinen Hinweis zu entlocken, mit dem sich beweisen ließ, dass sie ihren Mann umgebracht hatte. Eigentlich hatte sie das an praktisch jedem Tag der vergangenen Woche schon gedacht.
Und doch nichts unternommen.
»Ich finde immer noch, du hättest ihn in Restcrest lassen sollen«, sagte Ellen gerade. »Dort würde es ihm so gut gefallen.«
»In Irland auch«, gab Timmie zurück. »Aber das kann ich mir auch nicht
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