Todesschrei
nicht oft. Das letzte Mal war es auf Simons Beerdigung gewesen. Aber diesmal lag es an Bildern, die sie gefunden hatte. Zeichnungen, die Simon gemacht hatte.« »Von gequälten Tieren?«, wollte Scarborough wissen. »Auch. Aber hauptsächlich von Menschen. Er hatte Bilder aus Gewaltmagazinen ausgeschnitten. Hardcore. Und die Bilder abgemalt. Simon hatte echtes Talent, aber immer mit einer finsteren Seite. In seinem Zimmer hingen hauptsächlich düstere Bilder.« »Zum Beispiel?«, fragte Vito.
Daniel zog die Brauen zusammen. »Ich weiß nicht mehr genau.« Wieder warf er seiner Schwester einen Blick zu. »Da hing doch
Der Schrei,
oder?«
»Von Münch«, sagte sie. »Und er mochte Hieronymus Bosch. Außerdem hatte er einen Druck von Goya an der Wand, auf dem ein Massaker zu sehen war. Und eins mit einem Selbstmord. Dorothy irgendwas.« Daniel nickte. »Und dann hing da ein Druck von Warhol. >Art is what you can get away with<. Kunst ist, womit man durchkommt. Das sagt im Grunde alles über Simon aus.« »Was noch viel mehr über Simon aussagt«, murmelte Susannah, »ist das, was unter seinem Bett lag.« Daniel riss die Augen auf. »Du hast die Bilder gesehen?« Sie schüttelte den Kopf.
»Die
Bilder nicht. Ich habe keine Ahnung, wo er die versteckt hielt.«
»Was meinen Sie, Miss Vartanian?«, sagte Vito scharf. »Was war unter dem Bett?«
»Kopierte Kunst von Serienmördern. John Wayne Gacys Clown-Bilder. Und noch andere.«
Simon Vartanian hatte die Bilder von anderen abgemalt -Bilder, Gemälde, Skizzen von Künstlern, die wegen ihrer Grausamkeiten eingesperrt oder hingerichtet worden waren. Nun erschuf er seine eigene Kunst. Und seine eigenen Opfer. Die Atmosphäre am Tisch war plötzlich angespannt, und Vito wusste, dass auch die anderen diesen Schluss gezogen hatten. Einen Moment lang befürchtete er, dass jemand damit herausplatzen würde, aber zu seiner Erleichterung geschah das nicht. Es gab noch einiges, das die Vartanians ihnen nicht erzählt hatten. Bis dahin würden sie auch nicht mehr von ihnen erfahren.
»Warum haben Sie niemandem etwas davon gesagt, Miss Vartanian?«, fragte Thomas Scarborough freundlich. Wieder reckte sie das Kinn ein Stück höher, doch ihren Augen war abzulesen, dass sie sich schämte. »Danny war weg, und ich musste irgendwann wieder schlafen können. Dann verunglückte Simon, und die Zeichnungen verschwanden. Was die Bilder aus den Zeitschriften und seine Kopien davon betrifft - von denen wusste ich nichts. Bis heute.«
»Agent Vartanian, Ihre Mutter hatte also diese Bilder gefunden. Und war entsetzt. Und wie ging es weiter?« fragte Vito.
Daniel sah seine Schwester an. »Sag es ihnen, Daniel«, forderte sie ihn gepresst auf.
»Es gab noch andere Bilder ... Momentaufnahmen. Die Magazinfotos waren gestellt, inszeniert, aber die anderen wirkten ... sehr echt. Frauen, Folterungen ... auch davon hatte Simon Zeichnungen angefertigt.« Ein paar Momente herrschte Stille, dann räusperte Jen sich. »Es wundert mich, dass Simon diese Bilder nicht mitgenommen hat. Wo hat Ihre Mutter sie gefunden?« »In einem der Safes in unserem Haus. Mein Vater hatte mehrere Geheimfächer im ganzen Haus verteilt.«
»Das heißt, Ihr Vater wusste von Simons ... nun, Leidenschaft?«, fragte Jen.
»Ja. Meine Mutter stellte ihn zur Rede, und er gab zu, sie gefunden zu haben, nachdem Simon verschwunden war. Heute frage ich mich, ob sie nicht der Grund dafür waren, dass Simon gegangen ist. Vielleicht hatte mein Vater endlich genug von ihm. Aber das werden wir jetzt wohl nicht mehr herausfinden. Als ich die Fotos und die Bilder sah, sagte ich jedenfalls meinem Vater, dass wir das der Polizei melden müssten. Dass diese Leute auf den Fotos offenbar von jemandem misshandelt worden waren. Mein Vater bekam beinahe einen Anfall. Warum jetzt alles ans Tageslicht zerren? Simon sei tot, er könne dafür ohnehin nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Nur die Familie hätte darunter zu leiden.«
Seine Schwester legte ihre Hand auf seine, aber Daniel schien es nicht zu merken.
»Ich war so wütend. Jahrelang hatte ich zugesehen, wie mein Vater hinter Simon aufwischte, und jetzt war es genug. Ich explodierte. Mein Vater und ich hätten uns beinahe geprügelt, also trat ich rasch den Rückzug an und ging spazieren. Auf dem Weg beschloss ich, die Sache dennoch anzuzeigen. Aber als ich zurückkehrte, war es zu spät. Ich fand nur noch Asche im Kamin.«
Nick schüttelte ungläubig den Kopf. »Ihr Vater hat
Weitere Kostenlose Bücher