Todesschrei
hinkommt. Ich hab' mein Bestes gegeben.«
»Besser als das, was wir vorher hatten - nämlich nichts«, sagte Vito. »Tut mir wirklich leid, Tino. Ich hätte dich nicht -«
»Stopp«, unterbrach Tino. »Mir geht's gut, und - doch! -hättest du mich wohl. Es war nur eine etwas ... intensivere Erfahrung, als ich gedacht hätte.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werd's überleben.«
»Sag ich doch.« Nick holte die Zeichnung aus dem Umschlag. Von dem Papier blickte ihnen ein ernstes Frauengesicht entgegen, und Vito konnte sehen, dass sein Bruder die Knochenstruktur der Frau gut ins Bild umgesetzt hatte. Aber darüber hinaus lag eine rührende Trauer in ihrer Miene, die, wie Vito vermutete, auf Tinos eigene Gefühle beim Zeichnen zurückzuführen war. Das Bild war wunderschön.
Nick brummte anerkennend. »Wow. Wieso kannst du nicht so malen, Vito?«
»Weil er singt«, antwortete Tino müde. »Und Dino lehrt, Gino baut und Tess kocht wie eine Göttin.« Er stieß einen Seufzer aus. »Und wo wir gerade beim Thema sind - ich gehe nach Hause, Vito. Tess sollte jetzt schon bei den Jungs sein, und ich hoffe, sie macht mir was zu essen.« Er leckte sich angewidert über die Lippen. »Irgendwie muss ich diesen ekeligen Geschmack aus dem Mund kriegen.« Vito dachte unwillkürlich an Sophies Beef Jerky. »Sag Tess, sie soll es scharf machen, und lass mir etwas über. Oh, und sag ihr, sie kann mein Zimmer haben. Ich schlafe auf dem Sofa.«
Tino stand auf. »Die Gerichtsmedizinerin hat mir die anderen Leichen gezeigt, Vito. Ich denke, für den einen Burschen kann ich nichts tun.« Er schnitt eine Grimasse. »Ich meine für den, dem der halbe Kopf fehlt. Und der Junge mit der Kugel ist ... schon zu weit fortgeschritten. Das gilt auch für den Toten mit dem Schrapnell. Da braucht ihr -« »Moment.« Vito hielt die Hand hoch. »Was für ein Schrapnell?«
»Eure Gerichtsmedizinerin hat ihn eins-vier genannt.« Nick zog die Stirn in Falten. »Schrapnell? Oh, Mann.« »Mir scheint, wir müssen im Leichenschauhaus einiges aufholen«, sagte Vito grimmig. »Entschuldige, Tino. Du wolltest etwas sagen. Was brauchen wir?« »Ich wollte sagen, ihr werdet einen forensischen Anthropologen brauchen, um die Gesichter zu rekonstruieren. Mit den zwei alten Leuten könnte es mir allerdings noch gelingen. Ich komme morgen wieder.« Vito war plötzlich stolz auf seinen Bruder. »Danke. Das wäre gut.«
Tino schloss den Reißverschluss seiner Jacke und bedachte ihn mit schiefem Grinsen. »Ich hoffe auf eine Weiterempfehlung. Vielleicht habe ich ja ein neues Aufgabenfeld gefunden. Gott weiß, Kunst zahlt sich nicht aus.« »Wo sind die Berichte der vermissten Personen?«, fragte Nick, sobald Tino fort war. »Wir sollten die USA-Models-Seite nach den Namen auf der Liste absuchen, die zum Profil des Mädchens passen, und dann die Fotos mit Tinos Zeichnung vergleichen.« »Klingt vernünftig. Also los.«
Montag, 15. Januar, 21.55 Uhr
Nick warf den Ausdruck der Vermisstenliste verärgert auf Vitos Tisch. »Das war der letzte Name.« Finster starrte er auf die Website. »Sie ist nicht drin.«
»Oder nicht
da
drauf«, sagte Vito und zeigte auf den Ausdruck. »Vielleicht wird sie noch nicht vermisst. Oder vielleicht ist sie nicht von hier. Ich bin noch nicht bereit aufzugeben.«
»Verdammter Mist«, knurrte Nick. »Es wäre doch so schön gewesen, sie schnell zu finden.«
»Geh nach Hause«, sagte Vito. »Ich suche weiter, während ich darauf warte, dass Jeffs Mann Sherrys PC durchforstet. Ich sehe mir jedes Model ganz genau an, wenn es sein muss.«
»Vito, da stehen mindestens fünftausend Leute drin! Du wirst die ganze Nacht hier hocken.«
»Ach, abwarten.« Vito fuhr mit den Cursor über die Drop-Down-Menus. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer, der ein Model buchen will, immer nur ein Foto zur Zeit anklicken kann. Wahrscheinlich kann man sich alle Blonden oder Rothaarigen zugleich aufrufen.« Nick setzte sich ein wenig aufrechter hin. »Stimmt. Wir könnten den Bereich eingrenzen. Wir wissen, dass sie braune kurze Haare und blaue Augen hatte und knapp eins sechzig groß war.«
»Augen- und Haarfarbe sind veränderbar - sie kann auf den Fotos Kontaktlinsen getragen und die Haare getönt gehabt haben. Aber zumindest die Größe muss stimmen.« Vito sah konzentriert auf den Bildschirm. »Aha. Man kann die Suche nach körperlichen Merkmalen eingrenzen. Wir engen die Auswahl also erst einmal durch Größe ein, dann versuchen wir
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