Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
stand bereitwillig auf. Die Gruppe löste sich auf und verließ das Büro. Rebekka sah ihnen nach, drehte sich zu Ryan um und schilderte das traurige Schicksal von Ane und Nete Lindemann. Ryan sah sie ruhig an, während sie erzählte. Als sie fertig war, drückte er liebevoll ihre Schulter.
»Geht es dir gut, Rebekka?«
Sie hätte die Frage gerne überzeugt bejaht, doch ihr Mund wollte das Wort nicht formen, sie stammelte nur vor sich hin und merkte zu ihrer Verzweiflung, dass ihr die Tränen in die Augen traten.
»Rebekka.« Ryan sprach sanft ihren Namen aus und zog sie an sich. Sie ließ es geschehen, ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Die fürsorgliche Geste öffnete die Schleusen, und sie brach weinend zusammen. Ryan sagte nichts, ließ sie einfach weinen, und als die Tränen langsam versiegten, hielt er sie ein wenig von sich fort und sah ihr in die Augen.
»Es ist traurig, wenn ein Elternteil sein eigenes Kind umbringt. Sehr traurig. Aber es ist leider eine Tatsache, mit der wir in unserem Job umgehen müssen.«
Rebekka wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und schniefte. »Das weiß ich. Es ist auch nicht die Tatsache, dass sie ihr Kind umgebracht hat, die mich am meisten berührt, sondern dass sie keinen anderen Ausweg gesehen hat.« Sie zögerte, bevor sie hinzufügte: »Ich habe immer wieder mit Fällen zu tun, in denen Eltern, vor allem Väter, ihre Kinder aus Rache oder Eifersucht töten. Für diese Eltern habe ich nur Verachtung übrig. Aber Ane Lindemann hat ihre Tochter aus Liebe umgebracht. Ich habe diese Liebe gespürt. Doch sie hat gewusst, dass die Gesellschaft, in der sie gelebt haben, Netes Bedürfnisse nicht erfüllen konnte. Das finde ich so traurig. Wo ist das Netzwerk geblieben?«
Ryan nickte verständnisvoll, und ihr fiel auf, dass sie nie so dicht beieinander gestanden hatten. Er war kein Mann, den man umarmte, aber sie musste sich eingestehen, dass es sich gut anfühlte. Geborgen.
»Es ist wichtig, dass du deinen inneren Kraftraum findest, Rebekka. Und weiterkämpfst. Der Mädchen wegen. Du hast eine Mission. Du musst ihren Mörder finden. Im Übrigen wird im Haus bald eine gewisse Stelle frei, nicht wahr? Du kannst jetzt nicht zusammenbrechen.«
»Ich glaube nicht, dass ich eine Chance habe«, sagte sie, musste aber lächeln, als er sie ansah.
»Du hast große Chancen, Rebekka. Glaub an dich. Du machst das gut, und du kannst es noch besser machen. Wenn du den Täter kriegst …«
Sie nickte, fühlte sich aber ein wenig überwältigt. In diesem Moment steckte Brodersen den Kopf zur Tür herein.
»Ach, da bist du.« Er sah sie freundlich an. »Ich wollte nur sagen, gute Arbeit. Ich bin sehr beeindruckt, was du im Fall Nete Lindemann geleistet hast, und ich werde dafür sorgen, dass man an höchster Stelle davon erfährt.«
Sie lächelte ihn matt an.
»Geh nach Hause, Rebekka«, fügte er mit einem Blick auf ihr verweintes Gesicht hinzu. »Du hast hart gearbeitet, und das sieht man dir an. Fahr in dein Sommerhaus, sammle ein wenig Kraft, und dann sehen wir uns morgen. Und versprich mir, dass du schläfst, so lange du kannst.«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Ich bin dein Chef. Das ist ein Befehl«, antwortete Brodersen und verschwand den Gang hinunter.
Sie übersetzte Ryan, was Brodersen gesagt hatte und aus einem Impuls heraus lud sie ihn ein, mit in ihr Sommerhaus zu fahren. Sie merkte, dass sie rot wurde und kam sich wie ein Schulmädchen vor, das in seinen Lehrer verliebt ist.
»Das klingt phantastisch«, meine Ryan und lächelte. »Holst du mich in einer Stunde in meinem Hotel in der Havnegade ab? Ich muss nur schnell ein paar Dinge zusammenpacken.«
—
Das Sommerhaus roch ein wenig muffig, als sie am späten Nachmittag eintrafen. Rebekka öffnete die Fenster zum Lüften und zeigte Ryan die Küche, die ins Wohnzimmer überging, die beiden kleinen Schlafzimmer und das Bad. Sie gingen nach draußen, spazierten über das Grundstück, und Ryan sah sich begeistert um und sagte, er habe sich jetzt schon verliebt: in das Holzhaus mit dem Gras auf dem Dach, in das große, schöne Grundstück und vor allem in das Meer, das am Ende des Wegs lag, so nah, dass man es sowohl hören als auch riechen konnte.
Als sie das mitgebrachte Sushi gegessen und jeder ein Bier getrunken hatten, beschlossen sie, einen Abendspaziergang am Wasser entlang zu machen. Die Sonne stand hellrot am Horizont, und es war windstill. Sie erörterten die Ermittlungen im Mordfall Sofie und das
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