Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
bersten und alles überschwemmen, was ihn dazu zwingen würde, Hilfe zu rufen. Das hieße, dass fremde Menschen in die Wohnung kämen. Fremde Menschen, die Fragen stellten und in seinen Sachen herumwühlten. Allein der Gedanke daran, dass jemand seine Sachen in Augenschein nehmen könnte, ließ ihn am ganzen Körper zittern.
»Es ist nichts, Mama.«
Er wollte nach dem halb leeren Teller greifen, denn wie üblich hatte die Mutter nur an dem Essen gepickt, und normalerweise würde er die Reste draußen in der Küche in sich hineinschaufeln, ewig hungrig und unersättlich, wie er war, doch heute hatte er keinen Appetit.
Sie verstärkte den Griff um seinen Arm. Es tat fast weh, dabei mochte er das nicht, er hasste es, angefasst zu werden.
»Ich spüre das, Søren. Ich spüre, dass etwas passiert ist.«
Er befreite sich aus ihrem Griff. Sie ist schwach und alt, sie ist ungefährlich, sagte er sich und ging mit langen ruhigen Schritten zum Fenster hinüber, zog die Gardinen zu für den Fall, dass sie aufstehen und zum Fenster torkeln und vielleicht doch die Polizei sehen würde, die sich noch immer dort unten zu schaffen machte.
»Ist es schon Abend, Søren?« Ihre Unsicherheit, ob es Tag oder Abend war, ließ die Angst schwinden. Er näherte sich ihr, versuchte, die Gerüche ihres sterbenden Körpers zu ignorieren, den süßlichen Geruch, der sich in seine Nasenlöcher drängte und dort stundenlang hängen blieb.
»Ja, Mama. Möchtest du noch etwas haben, bevor ich ins Bett gehe? Ein Glas warme Milch zum Beispiel?«
Sie schüttelte den Kopf, er wünschte ihr Gute Nacht und schloss leise die Tür hinter sich. Als er in sein eigenes Zimmer taumelte, hatte er das Gefühl, als würden seine Beine unter ihm nachgeben. Atemlos erreichte er seine Tür und verriegelte sie schnell von innen.
—
Rebekka und Reza trafen gleichzeitig im Präsidium ein, wo sich auch mehrere der Ermittler gerade einfanden. Sie warfen ihre Sachen in das gemeinsame Büro, dann verschwand Reza auf den Gang hinaus. Rebekka setzte sich an ihren Schreibtisch, fuhr ihren Computer hoch und ging ihre E-Mails durch. Anschließend checkte sie schnell die Websites der Zeitungen und stellte fest, dass die Geschichte von der verschwundenen Sofie überall die Nachricht war. Sie sah auf die Uhr: Es war fast elf, und sie spürte plötzlich einen nagenden Hunger, denn sie hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen und hoffte, dass jemand für das gemeinsame Briefing, das in wenigen Minuten anfangen sollte, etwas Essbares gekauft hatte, Kekse oder Süßigkeiten.
—
»Gut. Fangen wir an.« Brodersen schob die Brille auf der Nase nach oben und ließ den Blick über die Gruppe von Ermittlern wandern. Die Gespräche verstummten. Sie saßen im Besprechungszimmer, und hinter ihm hingen bereits eine Fotografie von Sofie und eine vergrößerte Karte des Naturspielplatzes. Der Chef der Mordkommission brauchte ein paar Minuten, um die Fakten zu umreißen und zu bestätigen, dass das gefundene Handy Sofie gehörte – eine Nachricht, die, obwohl von den meisten erwartet, eine Welle des Unbehagens auslöste, weil sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte, dass das Mädchen einem Verbrechen zum Opfer gefallen war.
Rebekka goss sich eine Tasse starken Kaffee ein und schaufelte mehrere Löffel Zucker hinein, da sie einsehen musste, dass es nichts zu essen geben würde, nicht einmal einen trockenen Keks. Brodersen skizzierte in groben Zügen die bisherige Ermittlung. Die Hunde hatten die Spur des Mädchens auf dem asphaltierten Weg verloren, der an dem Spielplatz entlangführte, was dafür sprach, dass sie von dort aus in einem Auto mitgefahren war.
Die Nachforschungen aus der Luft hatten ebenfalls keine Ergebnisse gebracht. Trotzdem wollte man früh am nächsten Morgen Taucher in den Gewässern von Kalveboderne tauchen lassen. Man hatte in der Hälfte der angrenzenden Wohnhäuser Klinken geputzt. Die übrigen Bewohner sollten in den kommenden Tagen aufgesucht werden.
Der Chef der Mordkommission erzählte, dass Gundersen die Ermittlungen leiten solle. Dann wurden die Aufgaben unter den verschiedenen Ermittlern verteilt. Rebekka und Reza sollten am morgigen Tag mit der Familie des Mädchens reden.
Eine Stunde später schlenderte Rebekka zu ihrem Büro. Das Foto von Sofie hatte sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt, sie wurde es nicht mehr los. Die klaren Kinderaugen strahlten etwas Schmerzhaftes aus, sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, was es war, doch der Blick
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