Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Rebekka nachfragte.
»Was würdest du dir wünschen?«
»Na ja, ich würde mir wünschen, dass du diesen Job aufgibst, Rebekka. Dass du dir eine etwas weniger belastende Arbeit suchst, etwas Weiblicheres, einen Job, der dir auch Zeit für andere Dinge lässt, für einen Mann … und Kinder. Du bist inzwischen immerhin sechsunddreißig. Du bist nicht mehr jung.«
Rebekka spürte den Ärger im Körper brodeln und widerstand dem Drang aufzulegen. Jetzt würde die Mutter damit beginnen, ihre Vorstellung von dem perfekten Job zu umreißen, gefolgt von dem Wunsch nach baldigem Nachwuchs.
»Ich liebe meine Arbeit, Mama – und ich tue das, was ich am sinnvollsten finde. Das ist mein Leben und meine Entscheidung.«
»Natürlich ist das dein Leben. Ich wünschte mir nur, dass du auch ein wenig an deine Mitmenschen denken würdest …«
Kunstpause. Ihre Mutter wartete darauf, dass sie ihr in die Falle ging.
»Was in aller Welt meinst du damit?«
»Ich fände es schön, wenn du auch etwas an uns denken würdest, an Vater und mich. Du weißt schließlich nicht, wie lange du uns noch hast.«
»Mama.« Rebekka schwieg, plötzlich spürte sie die Mattigkeit im ganzen Körper.
»Wir haben doch nur dich«, fuhr die Mutter jetzt mit gedämpfter Stimme fort. »Nur dich.«
In ihren Ohren rauschte es. Schwarze, salzige Wellen schlugen über ihr zusammen, deckten sie zu und schienen ihr die Luft aus dem Brustkasten zu drücken. Sie schnappte nach Luft und bekam einen heftigen Hustenanfall, bevor sie sich verabschiedete und auflegte. Sie warf sich einen Bademantel über, ging schnell in die Küche, holte einen Amarone aus dem Weinregal und öffnete ihn mit routinierten Griffen. Sie schenkte die dunkelrote Flüssigkeit in ein Weinglas und kippte den Inhalt in einem Zug hinunter. Der Wein war ein wenig sauer, doch nach zwei Gläsern entfaltete er die gewünschte beruhigende Wirkung. Sie ließ sich auf das Sofa fallen, zappte zwischen den Kanälen hin und her, ohne richtig mitzubekommen, was ausgestrahlt wurde, und schaltete den Fernseher wieder aus. Ihre Gedanken kreisten um das Gespräch mit ihrer Mutter. Sie hatte nicht mehr mit Michael gesprochen, seit er vor knapp anderthalb Monaten ihre Wohnung verlassen hatte, und er hatte nie auf ihre SMS geantwortet.
Nach dem dritten Glas rief sie ihn an. Es klingelte lange, bevor der Anrufbeantworter ansprang. Beim Klang seiner Stimme flammte die Sehnsucht in ihr auf, aber sie legte trotzdem auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Sie seufzte wütend. Dann ritt sie der Teufel. Sie ging in das Telefonverzeichnis ihres iPhones und suchte nach Niclas’ Nummer. Mit angehaltenem Atem rief sie ihn an.
»Hallo.«
Die Stimme am anderen Ende war hell und sprach ein singendes Schwedisch. Sie gehörte einer Frau. Einen Augenblick flimmerte es Rebekka vor Augen, während sie das Handy an ihre Wange drückte.
»Hallo, wer ist denn da?«, wiederholte die Frauenstimme.
Rebekkas Hals war ganz trocken, die Worte kamen unbeholfen, schienen am Gaumen festzukleben. Sie räusperte sich kräftig.
»Hier spricht Rebekka Holm. Von der Polizei in Kopenhagen. Ich hätte gerne Niclas Lundell gesprochen.«
»Einen Augenblick. Niclaaaas! Niclaaaas! Telefon!«
Einen Moment lang kämpfte sie gegen den Drang an, den Anruf abzubrechen, aufzulegen, ihn zu vergessen, doch sie hatte der Frau am anderen Ende ihren Namen genannt. Rebekka Holm hatte sie gesagt. Es führte kein Weg drumherum. Schritte und ein leiser Wortwechsel waren zu hören, dann war er am Apparat.
»Niclas Lundell.«
Es überraschte sie, dass seine Stimme so formell klang, so erwachsen. Für den Bruchteil einer Sekunde rief sie sich das Gefühl seines kräftigen Körpers in Erinnerung, der sich an ihren drückte, seinen Geruch, seine Hände auf ihrer Haut, zärtlich und fest zugleich.
»Hier spricht Niclas Lundell«, wiederholte er ungeduldig, und sie riss sich zusammen.
»Rebekka. Rebekka Holm.«
Für ein paar lange Sekunden herrschte ein unbeholfenes Schweigen zwischen ihnen.
»Ja«, antwortete er nur, was sie völlig aus dem Konzept brachte. Er wiederholte sein Ja. Sie räusperte sich.
»Ich rufe an, weil … ich rufe an, weil … ich wissen wollte, wie es dir geht. Wir haben lange nichts voneinander gehört.«
Plötzlich war sie total blockiert. Die Worte saßen ihr wie ein Kloß im Hals, und sie spürte, wie die Übelkeit sie überrollte. Was war sie doch für eine Idiotin. Dass sie nicht selbst darauf gekommen war, dass Niclas
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