Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Leiche.
Die Obduktion von Sofie nahm die nächsten Stunden in Anspruch. Die Leiche wurde fotografiert, und es wurden Proben aus Vagina und Anus entnommen, um eventuelle Spuren des Täters zu sichern. Der Gerichtsodontologe hatte bereits Proben aus der Mundhöhle entnommen, bevor er die Zahnuntersuchung zur Feststellung der Identität durchgeführt hatte. Anschließend wurden die Nägel sorgfältig auf DNA hin untersucht. Die Leiche wurde gewaschen und noch einmal fotografiert. Anschließend nahm der Assistent der Rechtsmedizin einen y-förmigen Schnitt an der Vorderseite des Halses vor und legte die Halsmuskulatur frei. Die Arbeit schritt in ruhigem Tempo voran, doch die Stimmung im Raum war gedrückt, gedrückter als sonst. Hin und wieder hielt Inge Aamund inne und erklärte etwas. Die fortgeschrittene Verwesung passte zu dem Umstand, dass das Mädchen seit ungefähr fünf Wochen tot war, das heißt, seit kurz nach dem Zeitpunkt des Verschwindens. Der Körper wies diverse Wunden auf, die von Tieren, vermutlich von Ratten, stammten. In die Wunden hatten Schmeißfliegen ihre Eier gelegt, was für eine Leiche in diesem Stadium normal war.
Rebekka spürte Tränen in den Augen brennen. Sie biss die Zähne fest zusammen, so fest, dass ihr Kiefer sich leicht verkrampfte. Fing sie jetzt etwa während einer Obduktion an zu weinen? Das war ihr noch nie passiert, nicht einmal als sie eine junge, unerfahrene Polizeianwärterin gewesen war. Sie blickte konzentriert auf den Boden, während sie darum kämpfte, die Fassung zurückzugewinnen, doch es nutzte nichts, und sie schlich sich hinaus, um zwischen ein paar Schluchzern tief durchzuatmen. Sie versuchte sich zu beruhigen, und als sie zurück in den Obduktionssaal kam, stand die Rechtsmedizinerin mit den entnommenen Organen am Tisch und setzte zu ein paar Schnitten mit dem großen Messer an, das unter den Kollegen auch »Lungenmesser« genannt wurde. Plötzlich hielt Inge Aamund mitten in einer Bewegung inne.
»Riech mal.« Sie wandte sich an ihren Assistenten, der sich mit seinem Mundschutz direkt über die Lungen beugte, schnupperte und nickte. Anschließend blickte Inge Aamund zu den Polizisten hoch, die sie fragend ansahen.
»Die Leiche ist stark verwest, aber ich nehme trotzdem einen schwachen Geruch wahr, bei dem es sich um Äther handeln könnte. Wir schicken noch etwas zusätzliches Lungen- und Hirngewebe in die rechtsmedizinische Diagnostik, um zu sehen, ob es Äther ist.«
Sie nickten. Äther war ein leicht zugängliches Betäubungsmittel, und falls Sofie betäubt gewesen war, als sie vom Spielplatz verschwand, passte das zum Bericht der Zeugin, dass das Mädchen nicht selbst hatte gehen können.
Schließlich fasste Inge Aamund die Ergebnisse der Obduktion zusammen. Sofie Kyhn Larsen war an einem Genickbruch gestorben. Außer dem älteren Bruch des Unterarmknochens waren keine weiteren Anzeichen von Gewalt zu erkennen. Für einen sexuellen Übergriff gab es keine direkten Anzeichen, doch sämtliche Proben waren in die Diagnostik geschickt worden, und man würde, was mögliche DNA -Spuren des Täters anging, das endgültige Ergebnis abwarten müssen.
—
Der Anblick von Sofie, die halb verwest auf dem Obduktionstisch gelegen hatte, ließ Rebekka nicht los. Obwohl sie nach der Obduktion geduscht und die Kleider gewechselt hatte, klebte der Geruch des Todes an ihrer Haut, und sie hatte im Präsidium zweimal auf die Toilette laufen und sich übergeben müssen. Reza war nach der Obduktion nach Hause gefahren. Es sei ihm schon vorher nicht gut gegangen, hatte er erklärt, und die stundenlange Obduktion hatte sicherlich nicht zu einer Besserung seines Zustands beigetragen.
Gundersen wirkte permanent frustriert, Brodersen war blass und verbissen. Der Fund von Sofie Kyhn Larsen bedeutete eine Wende in der Ermittlung. Aus einer Entführung war ein Mord geworden. Die Techniker durchkämmten das Gebiet nach Spuren, bislang jedoch ergebnislos; auch Sofies Kleider und Schuhe waren weiterhin verschwunden. Brodersen kümmerte sich um die Presse, während Gundersen die laufende Ermittlung koordinierte. Alles musste noch einmal gründlich durchgegangen, die Familie ein weiteres Mal überprüft werden, die Nachbarn, alle. Rebekka machte sich an die Arbeit und studierte gerade ein paar Zeugenaussagen, als das Telefon klingelte. Es war Mark, Sofies großer Bruder. Er machte sich Sorgen um seine Mutter, die, ohne etwas zu essen oder zu trinken, apathisch in der Küche saß. Und
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