Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Symbolhafte der Fahrerlaubnis, die Möglichkeit, jederzeit wegzufahren, hatte sie tief berührt. Den Fahrlehrer hatte ihr Eifer belustigt. Er hatte kurz vor der Rente gestanden, sich Whisky in seine Thermoskanne geschüttet, wenn er glaubte, dass sie es nicht sah, und eine Menge schlechter Witze erzählt – trotzdem hatten sie auf den zahllosen Fahrten durch Ringkøbing und Umgebung viel Spaß gehabt, bis Rebekka endlich ihren Führerschein hatte.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie und bog Richtung Stadt ab. »Ich muss zugeben, dass ich ein schlechtes Gefühl habe.« Sie sah Simonsen von der Seite an, um zu sehen, ob er sich über ihr »Gefühl« mokierte, aber das tat er nicht. Stattdessen saß er zurückgelehnt mit geschlossenen Augen da. Er sah müde aus. Auch er hatte gestern Abend in der Kneipe viel getrunken und mit mehreren der jüngeren Kolleginnen getanzt.
»Du glaubst also, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist wie Sofie?« Er schlug die Augen auf, sie spürte seinen Blick auf sich ruhen.
Sie zuckte mit den Schultern und schaltete. »Ich weiß nicht, was ich glaube, nur dass ich irgendwie beunruhigt bin. Søren sitzt in Untersuchungshaft, er kommt als Täter also nicht infrage, obwohl die Mädchen sich sehr ähnlich sehen. Aber es gibt auch große Unterschiede. Sie kommen aus komplett unterschiedlichen sozialen Schichten und Stadtvierteln. Die eine verschwindet an einem helllichten Sommertag mitten im Menschengewühl, die andere an einem einsamen Ort am späten Abend – zwei Monate später. Es gibt auf den ersten Blick nichts, was sie miteinander verbindet. Und trotzdem. Dass zwei Mädchen innerhalb weniger Monate im Großraum Kopenhagen verschwinden, ist schon auffallend.«
Simonsen nickte. Er hatte die Augen wieder geschlossen. Rebekka schaltete das Autoradio ein, wo die verschwundene Caroline Nørvang bereits das Thema in den Nachrichten war. Als sie im Präsidium ankamen, wirbelte der Wind die Blätter über den Bürgersteig, schneller und schneller.
—
Am nächsten Morgen war das Verschwinden von Caroline Nørvang in aller Munde. Trotz der intensiven Suche war es ihnen nicht gelungen, sie zu finden. Der heftige Sturm hatte alles erschwert, nicht zuletzt für die Hunde, die das Gebiet durchkämmt, aber immer wieder ihre Fährte verloren hatten. Man hatte allerdings Blut auf dem Parkplatz vor der Reitschule gefunden und Proben ans kriminaltechnische Zentrum geschickt, wo untersucht werden sollte, ob es von Caroline stammte. Die Presse belagerte das Polizeipräsidium ebenso wie die Villa der Familie Nørvang. Brodersen und Gundersen nahmen an zahlreichen Besprechungen mit der Direktion teil, alle verfügbaren Leute wurden einberufen, Hubschrauber in die Luft geschickt. Gundersen scheuchte die Ermittler durch die Gegend und bekam einen Wutanfall nach dem anderen.
Rebekka betrachtete ihn von ihrem Bürostuhl aus, und fast tat er ihr leid. Es bestand kein Zweifel, dass er vor der Aufgabe seines Lebens stand. Es waren keine zwei Monate mehr, bis der Chef der Mordkommission in Pension gehen würde – und die Direktion hatte noch keinen Nachfolger benannt. Sie unterzog ihre Tasche einer Inspektion, um sicherzugehen, dass sie das, was sie für die heutigen Befragungen brauchte, bei sich hatte. In der Morgenbesprechung hatte sie Jonas gesehen, der in der entferntesten Ecke gestanden hatte. Als sie ihn freundlich angelächelt hatte, hatte er demonstrativ das Gesicht abgewandt. Sie schnaubte. Wenn er das so wollte, dann bitte.
Jetzt war sie auf dem Weg zur Reitschule, dem letzten Ort, an dem Caroline mit Sicherheit gewesen war. Reza war wieder aufgetaucht und saß neben ihr im Auto. Er hatte das Telefon am Vorabend ausgeschaltet, um ordentlich schlafen zu können, hatte er erklärt, und es tat ihm leid, dass Rebekka ein weiteres Mal mit Simonsen hatte losziehen müssen. Rebekka tat es ab, bedankte sich für das nette Abendessen bei Rezas Eltern und bedauerte ihrerseits, dass er sie im wortwörtlichen Sinne im Bett erwischt habe, als er sie mitten in der Nacht angerufen hatte.
»Wer war der Typ?«
»Du kennst ihn nicht. Und sorry, falls ich irgendwie seltsam war.«
»Nicht der Rede wert. Ich stand selbst ein wenig neben mir«, antwortete Reza nur, dann zeigte er auf die Bäume. »O Mann, was hat es gestern gestürmt.«
Rebekka nickte. Der Sturm hatte die Blätter von den Bäumen gerissen. Die Sonne stand tief und grell am Horizont, und der Polizeifunk knatterte laut. Das Piepen von
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