Todesspiel
mit schwarzem Gitterwerk verhängt. Aus Drahtgeflecht und Pappmaché hatte er im Wohnzimmer »Horrortunnels« gebaut und eine mechanische Mumie konstruiert, die ein mit Ketchup beschmiertes Pappbeil hob und senkte. Dann hatte er ein Schild aufgestellt und die Kinder aus der Nachbarschaft eingeladen.
Und natürlich waren sie in Scharen gekommen, meist in Gruppen oder zumindest in Begleitung eines Elternteils, hatten staunend gekichert. Aber hin und wieder hatten ein paar kleine schwarze Mädchen an der Tür geklingelt, und die hatte Roan in sein richtiges Horrorkabinett im Keller geführt.
Um elf Uhr abends, nachdem mittlerweile vier verzweifelte Elternpaare in Eastern Parkway ihre Töchter als vermisst gemeldet hatten, waren mehrere Streifenwagen in dem Viertel unterwegs. Roan machte seinen entscheidenden Fehler, als zwei uniformierte Polizisten an seiner Tür klingelten. Sie wollten sich eigentlich nur mit ihm unterhalten. Aber er war in Panik geraten, hatte die Tür zugeknallt und geschrien, wenn sie sich mit Gewalt Zugang zu seinem Haus verschafften, würde er eine der »zukünftigen ledigen Mütter, die dem Staat auf der Tasche liegen«, töten. Daraufhin war die Abteilung für Hasskriminalität eingeschaltet, ein SWAT-Team losgeschickt, die Presse informiert und ein »Verhandlungsspezialist« angefordert worden.
»Ich schlitze ihnen die Kehle auf«, hatte Roan am Telefon gedroht.
Christa Salazar träumte immer noch häufig von jener schrecklichen Nacht, von dem kalten Regen, der die
Sicht behinderte, von schlecht funktionierenden Funkgeräten und Stromausfällen.
»Ich hasse diese stinkfaulen Teenager, die Kinder in die Welt setzen und dann von Sozialhilfe leben«, hatte Roan gesagt.
Er hatte verlangt, dass man ihm aus dem koreanischen Imbiss Sandwiches für die Mädchen brachte. Er wollte mit Reverend Sharpton auf Fox TV debattieren. Er drohte, die Mädchen umzubringen, falls sich ein Polizist seinem Haus auf mehr als zehn Meter näherte.
»Ich werde mit ihm reden«, hatte der Verhandlungsexperte, ein Psychologieprofessor von der NYU, gesagt.
»Er quält die Mädchen«, entgegnete Christa. »Wir sollten das Haus stürmen.«
»Ich habe noch nie eine Geisel verloren, Detective.«
Ehe sie zur Abteilung für Hasskriminalität kam, hatte Christa bei der Telefonüberwachung gearbeitet. Zwei Jahre lang hatte sie Gespräche zwischen Mafiosi abgehört. Von Typen, die es genossen, zu töten. Mit der Zeit entwickelte man ein Gespür für Stimmen, denn man überwachte die Verdächtigen monatelang, ehe man sie zu Gesicht bekam. Man lernte, die feinen Nuancen zu unterscheiden. Hörte Veränderungen heraus, die eine Absicht verrieten. Und Roans Atem und seine Sprechpausen waren eine Symphonie, die Christa mit Entsetzen erfüllte, mit einer wachsenden Angst, dass der Verhandlungsexperte ausgetrickst wurde.
»Sie sind selbst Mutter«, hatte der Psychologe bemerkt, als sei das eine Schwäche. »Ich kann verstehen, dass diese Situation Sie besonders nervös macht.«
»Und ich verstehe, dass Sie ein studierter, scheißliberaler Feigling sind«, hatte sie ihm entgegengeschleudert. »Im Dach befindet sich ein Oberlicht. Wir könnten vom Nachbarhaus aus aufs Dach gelangen und dort einsteigen. Und ja, ich bin eine Mutter, da haben Sie verdammt recht. Die Mädchen da drinnen schweben in Lebensgefahr.«
Daraufhin hatte der Psychologe den Einsatzleiter angefahren: »Schaffen Sie sie hier raus!«
Wie war es dem Sender New York One gelungen, die Funkfrequenz des Polizeifunks zu empfangen? Die war doch angeblich gesperrt. Später wusste sie nur, dass eine Fernsehkamera ihre Aktion gefilmt hatte, auch wenn der Sender Gott sei Dank so rücksichtsvoll gewesen war, die Bilder erst zu zeigen, nachdem die Situation sich beruhigt hatte.
Doch dann hatte die ganze Stadt gesehen, wie Christa Salazar sich Befehlen widersetzt hatte, wie sie auf Carl Roans Dach gesprungen war und das Oberlicht eingeschlagen hatte. Wie sie, die 9-mm-Glock im Anschlag, wie ein Taucher im Haus verschwunden war. Die Zuschauer sahen nicht, wie Christa im Dunkeln die Treppe hinunterschlich, wie sie den Gestank von Schimmel und Fäulnis wahrnahm und fast auf Schritt und Tritt über Stapel von Pornoheften stolperte. Wie die Angst ihr im Nacken saß und sie zusammenzuckte, als eine Treppenstufe knarrte. Wie sie vorbei an Schüsseln mit süßem Popcorn durch das verlassene Halloween-Labyrinth im Wohnzimmer huschte und im fahlen gelben Licht, das von unten kam, die
Weitere Kostenlose Bücher