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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.Scott Reiss
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man betrinkt sich nicht am Abend vor der Wiedereinstellung. Nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass es schon ein Uhr früh war. Die »Halloween-Heldin«, wie die Daily News sie genannt hatte, hockte in Tims Zimmer und betrachtete das David-Wright- Poster und die Spiderman-Spielsachen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie etwas gesehen, das ihr so leer vorgekommen war wie das ungemachte Bett ihres Sohnes.
    Das Telefon klingelte.
    »Bist du noch wach?«, fragte Jimmy.
    »Nein, ich schlafe schon.«
    Er weinte, verdammt noch mal! Er hatte ihren Sohn mitgenommen, und er weinte! Was zum Teufel bedeuteten Männer und Frauen einander eigentlich noch? Wer hatte mit diesem Rollentausch angefangen? Sie war außer sich vor Wut. Männer weinten doch nicht. Das Recht zu weinen stand ihr allein zu! Er sollte sich genauso schuldig fühlen wie sie sich wegen Carl Roan.
    »Du bist der Einzige, dem ich die Wahrheit erzählt habe«, sagte sie.
    »Hör auf.«
    »Du müsstest eigentlich zu mir halten.«
    »Du wirst es wieder tun. Ich kenne dich.«
    Merkwürdig. Er glaubte, er könnte ihre Gedanken lesen. Er erinnerte sie an ihre Mutter.
    »Bist du dir wirklich ganz sicher, dass du Polizistin werden willst?«, hatte ihre Mutter sie gefragt, als sie fünfzehn war.
    »Ja, genau wie Daddy«, hatte sie geantwortet.
    »Ich habe mich von deinem Vater scheiden lassen, weil er immer nur gearbeitet hat.«
    »Ich bewundere Daddy. Und ich kann jederzeit aufhören, wenn es nötig ist.«
    »Ja, aber du wirst es nie für nötig halten«, hatte ihre Mutter seufzend entgegnet. »Seit deine Vorfahren im Jahr 1509 auf diesem Kontinent ankamen, hat kein Salazar jemals eingesehen, dass Leidenschaft Konsequenzen hat. Ihr seid alle Kämpfernaturen.«
    Die Salazars der Neuen Welt, das wusste Christa, stammten von einem spanischen Konquistador ab, einem einfachen, aber ehrgeizigen Soldaten, der von Cortes in Mexiko ein Stück Land geschenkt bekommen hatte. Mit seiner Frau, einer Toltekin, hatte er drei Töchter und einen Sohn gehabt und es als Pferdehändler zu einigem Wohlstand gebracht, bis Napoleon einen Regenten schickte, der die Kolonie terrorisierte. Die Familie floh nach Norden, ließ sich südlich des Rio Grande nieder und nahm den Pferdehandel wieder auf. Das ging so lange gut, bis die französische Kavallerie nach Norden vordrang und die Salazars erneut vertrieb. Die Familie floh nach Texas, wo sie von den Siedlern der jungen Vereinigten Staaten freundlich aufgenommen wurde.
    Christas Vorfahr Carlos Salazar fiel in der Schlacht bei Alamo. Das war die Konsequenz seiner Leidenschaft. Paco Salazar fiel im Kampf für die Föderierten in der Schlacht von Gettysburg. Mehrere Salazars verdienten sich im Ersten Weltkrieg Orden bei der Maas-Argonnen-Offensive, und später, in den zwanziger Jahren, hatte Christas Urururgroßvater beim Finanzministerium gearbeitet. Christa war die erste Frau in der Familie, die zur Polizei gegangen war. Aber als ihre Leidenschaft sie zu einer Rebellin machte, hatte das New York Police Department sie zur Hasskriminalität versetzt. Das klang nach einer Beförderung, doch in Wirklichkeit setzte sich die Belegschaft aus Angehörigen von sieben verschiedenen Dienststellen zusammen, die alle insgeheim darüber fluchten, dass sie in einer künstlich zusammengewürfelten Abteilung arbeiten mussten, die der Bezirksstaatsanwaltschaft und damit dem Justizministerium unterstellt war.
    Erneut klingelte das Telefon.
    »Was gibt’s denn noch?«, fauchte Christa.
    »Hey, ich bin unschuldig!«, sagte der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Jared Fulvio. Dann wies er sie an, in ihr Auto zu steigen und »umgehend« in die 63 rd Street in Manhattan zu fahren. Er sagte, die Kollegen hätten einen »großen Fisch« an der Angel, und Washington sei »interessiert«. Er entschuldigte sich für den Fall, dass er sie geweckt oder eine Feierstunde unterbrochen haben sollte, dabei hätte jeder Trottel an ihrem Tonfall merken müssen, dass sie nicht gerade in Feierlaune war.
    »Jimmy und ich sitzen nur gemütlich auf dem Sofa«, flunkerte sie.
    Während Fulvio sie am Telefon über die Einzelheiten aufklärte – was eigentlich nicht üblich war –, spürte sie, wie ihre Wut auf Jimmy allmählich nachließ und sich stattdessen auf etwas anderes richtete. Ein Kleinkind ermordet? Sie betrachtete Timmys leeres Bett, das verlassene Nest, das sie und Jimmy für ihren Sohn eingerichtet hatten, der jetzt weit weg von seiner Mutter in Massachusetts

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