Todesspiel
interessierter.
»Könnten Sie für mich rausfinden, zu wem ein bestimmtes Autokennzeichen gehört?«
Der Mann entspannte sich. Er hatte angenommen, Rubens wäre zu ihm gekommen, weil er ein Problem mit seinem Führerschein hatte.
»Okay, kann sein, dass ich mich jetzt doch an Sie erinnere.«
»Ja oder nein? Hier ist die Nummer. Sie kennen doch da drin jemanden, der Ihnen hilft. Der braucht nur in seinem Computer nachzusehen.«
Eine Viertelstunde später kam der Mann zurück und nahm die zweite Hälfte der Geldscheine entgegen. Rubens las den Namen auf dem Zettel. Dann gab der Mann ihm noch einen Computerausdruck mit einem Foto des Führerscheininhabers. Er hatte eine weiße Haarsträhne. Clayton De’Arte wohnte nördlich von New York in Westchester, in einer Stadt namens Bedford Hills.
»Teure Gegend«, bemerkte der Mann. »Mein Bruder arbeitet dort als Gärtner.«
Der Regen fiel immer noch sanft, wenn auch in großen Tropfen. Das Dämmerlicht ließ die Schaufenster bösartig erscheinen, es erinnerte Rubens daran, wie Glas den Himmel widerspiegelte, an das Gold, das auf einer Draga unter einem Schweißbrenner schmolz. An flüssiges Metall, das in allen Regenbogenfarben schimmerte, während es erhärtete.
»Schicken Sie mir Ihre Freunde, wenn sie einen Führerschein brauchen«, sagte der Mann.
Rubens stieg zu Tommy in den Wagen.
»Bedford Hills. Fahren wir.«
Es regnete in Manhattan, als Cizinio auf der 45 th Street, in der Nähe der Fifth Avenue, einen Parkplatz fand. LITTLE BRAZIL, stand auf dem Straßenschild. Durch die Windschutzscheibe betrachtete Cizinio die Straße. Einige Restaurants, ein Reisebüro, ein Internetcafé, ein T-Shirt-Verkäufer unter einem riesigen Sonnenschirm, der ganz in Grün und Gelb gekleidet war, den Farben Brasiliens. Als er das nächstgelegene Restaurant betrat, einen Laden namens Ipanema, fand er sich in einem Brasilien wieder, wie die Nordamerikaner es sich vorstellten. An den Wänden Poster von schlanken Mädchen in Stringbikinis an weißen Stränden. Der Zuckerhut in Rio mit der Jesusstatue über dem Hafen. Fotos vom Karneval mit Männern in Tiermasken, Frauen mit glitzernden Kronen und Samba tanzenden Kindern. In diesem Brasilien litt niemand an Malaria oder wohnte in einer Baracke ohne Strom und fließendes Wasser. Niemand lebte in Favelas oder ertrank in schlammigen Flüssen auf der Suche nach Gold.
Cizinio wusste, dass dieses andere, zweidimensionale Brasilien eine Illusion war. Aber wegen solcher Illusionen begaben sich reiche Leute auf Reisen. Um sich davon zu überzeugen, dass das Leben an fernen Orten ursprünglicher war.
»Ich suche meinen Vetter«, sagte Cizinio auf Portugiesisch zu dem Barmann und zeigte ihm ein Foto von Rubens. Die meisten Leute hatten ihre Mittagspause bereits beendet, und der Laden war halb leer. »Er ist vor zwei Jahren mit seiner Tochter hergekommen. Jetzt liegt seine Mutter im Sterben, und sie will ihn noch mal sehen.«
Der Barmann schien sich mehr für den 20-Dollar- Schein zu interessieren, den Cizinio ihm anbot. Er rief den Hilfskellner zu sich, der schon am längsten in dem Restaurant arbeitete.
»Den kenn ich nicht«, sagte der Hilfskellner.
»Ich lasse das Foto hier. Ihr könnt euch eine Belohnung verdienen.«
In der Kneipe, die er als Nächstes aufsuchte, grinste die Frau, die gerade einen Cocktail schüttelte, als Cizinio sie ansprach. »Den Akzent kenne ich doch«, sagte sie. »Sie stammen aus Rondônia, stimmt’s?«
Rondônia lag hundertfünfzig Kilometer von Rio Branco entfernt.
»Den Mann kenne ich nicht«, sagte die Frau.
Auch im Reisebüro und im Internetcafé konnte sich niemand an Rubens erinnern. Aber auch wenn Rubens inzwischen irgendwoanders war, würde Cizinio ihn aufspüren, denn irgendwann musste er in einem brasilianischen Restaurant gegessen haben, in ein brasilianisches Viertel gezogen sein, sich in einer brasilianischen Kneipe ein Fußballspiel angesehen haben.
Aber ich wette, er ist hier.
Irgendeiner seiner Leute würde früher oder später einen Tipp bekommen.
Cizinios verschlüsseltes Handy klingelte.
Vielleicht hat ihn ja schon jemand gefunden!
Cizinio nahm sein Handy aus der Tasche.
11
»Woher ich weiß, dass er Annie betrogen hat? Weil meine Schwester sich mir anvertraut hat, deshalb.«
Die Siebenzimmerwohnung umfasste das gesamte oberste Stockwerk des »The Cairo«, eines Gebäudes, das vor dem Ersten Weltkrieg am Riverside Park auf Höhe der 88 th Street errichtet worden war.
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