Todesspiel
Christa und Paula St. James hatten zunächst auf der Dachterrasse gesessen und waren dann hineingegangen, als das Unwetter begann. Auf dem antiken Couchtisch stand das Mittagessen – Wein, Mineralwasser, kleine Sandwiches. Die nach Westen ausgerichtete Glasfront gab den Blick frei auf die sturmgepeitschten Baumkronen im Riverside Park. In einiger Entfernung lag der graue Hudson River, auf dem Frachter Öl aus Venezuela nach New York transportierten.
»Meine große Schwester war zu meiner kleinen Schwester geworden. Je mehr sich die Situation verschlimmerte, umso mehr geriet ich in die Rolle derjenigen, die Ratschläge erteilte«, sagte Paula.
Das »ausgiebige feuchte Mittagessen« bestand für Paula aus französischem Chardonnay, an dem sie seit zwei Stunden nippte. Sie hatte ihr zweites Glas bereits zur Hälfte geleert. Christa trank Wasser. Die Möbel in dieser Wohnung, dachte sie, hatten mindestens so viel gekostet, wie sie in einem halben Jahr verdiente. Die Ölgemälde – Originale, hätte sie wetten können – stellten tanzende Bauern in Haiti dar, sorglose Armut in leuchtenden Rot-, Blau- und Grüntönen. Außerdem gab es afrikanische Masken und steinerne Skulpturen aus Costa Rica. Paula hatte erzählt, dass dieses Apartment ihren verstorbenen Eltern gehört hatte. Niemand wohnte dauerhaft darin. Es diente den auswärtigen Familienmitgliedern als Zweitwohnung, wenn sie nach New York kamen.
»Annie hat John während des Studiums an der Brown University kennengelernt. Er war Stipendiat. Sein Vater war der Hausmeister in der naturwissenschaftlichen Fakultät. John war unheimlich ehrgeizig. Das war es, was sie an ihm fasziniert hat. Die Jungs, mit denen wir aufgewachsen waren, hatten es im Vergleich zu ihm sehr einfach.«
Christas Handy hatte während der letzten halben Stunde mehrmals geklingelt. Wahrscheinlich Jim. Aber jetzt ranzugehen würde die Stimmung stören. Die Unterbrechung eines vertraulichen Gesprächs konnte selbst den auskunftswilligsten Zeugen so verschrecken, dass er verstummte und einen womöglich sogar vor die Tür setzte.
»Die Ehe mit Annie bedeutete für John einen gesellschaftlichen Aufstieg, einen Erfolg. Sie war blind vor Liebe, aber er war der Falsche für sie. Sie wäre besser dran gewesen mit jemandem, der weiß, wie man es sich mit Geld gut gehen lässt. Bestimmt kennen Sie solche Paare, Detective Salazar. Paare, die von Anfang an nicht zusammenpassen.«
»Da kenne ich einige«, sagte Christa verständnisvoll.
»Es heißt zwar, dass Gegensätze sich anziehen, aber ich war schon immer der Meinung, dass Chemie allein nicht ausreicht. Sind Sie verheiratet?«
»Ja.«
»Ich sage Ihnen, wenn man jemanden heiratet, der von Grund auf anders ist, mag das ja anfangs aufregend sein, aber dann streitet man sich sein Leben lang. Wissen Sie, manchmal denke ich, dass das in anderen Kulturen ganz vernünftig geregelt ist mit diesen arrangierten Ehen. Wir glauben immer, dass die Liebe zuerst da sein muss. Dann hofft man, dass sich der Rest schon finden wird. Die sagen, zuerst muss der Rest stimmen, dann wird sich die Liebe irgendwann von allein einstellen.«
Christa biss von ihrem Thunfisch-Sandwich ab, das Paulas Mann zubereitet und auf einem Teakholztablett serviert hatte. Anschließend hatte er sie allein gelassen, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Er wirkte wortkarg und beträchtlich älter als seine Frau.
»Sie sagten, John sei in illegale Geschäfte verwickelt gewesen«, bemerkte Christa.
»Er hat es mir gegenüber praktisch zugegeben.«
»Zugegeben?«
»Na ja, als die beiden geheiratet haben, hatte er kein eigenes Geld. Er war ein kleiner Regierungsangestellter. Das Haus gehörte meiner Schwester. Die Autos ebenfalls. Was glauben Sie wohl, wer für Urlaub und Kleidung aufgekommen ist, zumindest bis vor ein paar Jahren?«
»Annie.«
»Später hat sie gesagt, er hätte sich verändert, er sei härter geworden, aber diese Wut hat schon immer in ihm gesteckt. Schließlich war er der Sohn eines Hausmeisters! Seine Mutter war an einer Überdosis gestorben! An der Uni war er umgeben von reichen Studenten, die allesamt von den besten Privatschulen kamen. Anfangs hat er immer den Idealisten markiert.« Sie äffte Evans nach: »Geld interessiert mich nicht! Ich will Gutes tun! Ich will die Welt verbessern!«
»Das ist doch gar nicht so übel.«
»Meine Schwester hat ihn dafür bewundert. Sie brauchte kein Geld. Unsere Eltern haben uns so viel vererbt, dass wir ein
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