Todesspiel
Rubens ließ dem Mann ein bisschen Zeit. Verhielt sich wie ein Cop. Cops hatten Zeit.
»Fangen Sie ganz vorn an. Im Dschungel.«
»Ich hielt es für eine Beförderung, als ich den Job bekam. Als man mich nach Brasilien geschickt hat.«
»Und worin bestand der Job genau?«
»Inspektionen.«
Das Schniefen hatte nachgelassen, aber die Worte kamen abgehackt heraus. »Ich sollte die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen überprüfen, Flugzeugnummern und Ladungsverzeichnisse. Washington verlangt Berichte von der Transportgesellschaft, wissen Sie. Aber später, im Dschungel, als die Schießereien losgingen, da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen. Ich dachte, es wäre alles echt. Und dann haben die Soldaten sich das Blut einfach abgewischt.«
Rubens sah ihn sprachlos an.
»Wirklich! Die haben gelacht. Die sind von den Tragen aufgestanden! Stellen Sie sich das mal vor, die kommen aus dem Dschungel, sehen halb tot aus, und dann können sie vor Lachen nicht an sich halten.«
Wovon redet der Mann?
Ungeduldig sagte Rubens: »Fahren Sie fort.«
Aber De’Arte wechselte das Thema. »Ich habe denen gesagt, sie sollten keine Kisten mit dem Firmenlogo benutzen. Aber sie wollten Geld sparen und meinten, die seien schließlich leer. Warum neue Kisten kaufen?«
Rubens konnte sich daran erinnern, auf den Kisten an Bord der Maschine das Logo der Nestor-Gruppe gesehen zu haben, unter schwarzem Klebeband, das sich zum Teil abgelöst hatte. Er wollte über die leeren Kisten mehr erfahren. Aber gleichzeitig wollte er etwas anderes wissen. »Kommen wir zu dem Blut zurück«, sagte Rubens. »Die Soldaten waren also in Wirklichkeit gar nicht verwundet.«
Es war zwecklos. De’Artes Erinnerungen kamen in Bruchstücken. Normalerweise hätte Rubens sich einfach zurückgelehnt und den Mann reden lassen, bis alles einen Sinn ergab. De’Arte fuhr fort: »Und dann die Fotografen. Die waren besoffen, während sie fotografiert haben.«
»Was haben die denn fotografiert?«
»Das wissen Sie doch. Die Hubschrauber. Die Explosionen. Das ganze Theater.«
Rubens konnte es kaum fassen. »Wollen Sie damit sagen, dass die ganze Schießerei nur gespielt war?«
De’Arte blickte überrascht auf. »Jetzt tun Sie doch nicht so. Das war für den Bericht. Deshalb sind Sie doch hier, oder? Wegen des Berichts?«
»Ja, ja.« Rubens spielte den Ungeduldigen und versuchte, seinen Fehler auszubügeln. Mit Blick auf die Ordner auf dem Schreibtisch sagte er: »Haben Sie vielleicht eine Kopie hier?«
»Wovon reden Sie eigentlich? Jeder mit der entsprechenden Sicherheitsstufe hat eine Kopie. Haben Sie nicht längst auch eine? Sie hören sich ja an, als hätten Sie den Bericht noch nie gesehen.«
De’Artes Miene änderte sich schon wieder blitzschnell – wie bei einem kleinen Kind: in einem Augenblick Tränen, im nächsten Ungläubigkeit. Aber De’Arte war ein kluges Kind. Denn plötzlich wurde er misstrauisch.
»Wer sind Sie eigentlich? Können Sie sich überhaupt ausweisen?«
Rubens hatte einen Fehler gemacht. Er musste möglichst schnell reagieren. Als sei er mit seiner Geduld am Ende, blaffte er ihn an: »Ausweisen?«
Er stieß De’Arte in den Sessel zurück.
»Geht das schon wieder los? Ich habe Sie gewarnt!«
Als Rubens die Faust hob, zuckte De’Arte zusammen. »Nein! Nein!«, schrie er.
Rubens schlug ihm ins Gesicht. Dann beugte er sich ganz dicht zu ihm hinunter und schrie ihn an: »Wir gehen diesen verfluchten Bericht jetzt gemeinsam durch, und Sie sagen mir ganz genau, wer die Leute auf den Fotos sind.«
De’Arte stöhnte.
»Sie werden mir die ganze verdammte Wahrheit sagen über alles, was Sie gesehen haben, und zwar jetzt sofort, Clayton, und später und noch mal im Gerichtssaal, falls ich Ihnen auch nur ein bisschen helfen soll …«
»Ja! Aber hören Sie auf!«
»Sie geben nur noch Antworten! Ich bin derjenige, der hier die Fragen stellt.«
De’Arte wischte sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase. Am ganzen Leib zitternd, stand er auf.
»Ich muss den Bericht auf dem Computer aufrufen.«
Rubens trat einen Schritt zurück, um den Mann zum Schreibtisch wanken zu lassen.
Er stieß ihn brutal vorwärts. Es widerstrebte ihm zwar, den Mann zu schikanieren, aber Clayton De’Arte durfte auf keinen Fall Oberwasser gewinnen. Rubens rückte ihm dicht auf die Pelle. Seine Gedanken rasten.
Die Antwort war im Flugzeug zu finden.
De’Arte hantierte an der obersten Schreibtischschublade herum. Er stand mit dem Rücken zu
Weitere Kostenlose Bücher