Todesspirale: Roman (German Edition)
ihr über die Musik zu. »Zeigen wir Ivan mal, was wir mit richtiger Musik können.«
»Das sein keine Skatemusik«, dröhnte Ivan, »das sein verabscheuungswürdig!« Aber bei diesem Streit hatte er regelmäßig verloren im Verlauf des letzten Jahres. Er hatte es zuerst nur zugelassen, weil er nicht blind war gegenüber den Problemen, mit denen seine beiden jungen Protegés in dieser mitleidlosen Hinterwäldlerstadt konfrontiert waren, und zu ihrer wilden Musik zu trainieren, erschien ihm eine harmlose Methode, um etwas Dampf abzulassen.
Aber dann hatten sie sie vor sechs Monaten, ohne seine Erlaubnis, bei den nationalen Meisterschaften gegen ihr vorgesehenes Programm ausgetauscht, und inzwischen hatten sie sich bei internationalen Turnieren einen gewissen Ruf erworben.
Während er zusah, wie sie sich angrinsten, als sie Seite an Seite synchron einen doppelten Lutz ausführten und von der Bewegung elegant in eine Hebeübung überleiteten, zuckte er die Achseln und lehnte sich zurück. Oh, was spielte das für eine Rolle? Diese Musik gehörte zu den wenigen Dingen, die ihnen dieser Tage nicht das Herz zu brechen schienen.
In den vergangenen Jahren war es Sasha nahezu unmöglich gewesen, sich über ihre Gefühle für Lon klar zu werden. In Anbetracht all dessen, was sie gemeinsam hatten, dachte sie, dass es eigentlich ziemlich einfach hätte sein müssen, was es aber nicht war. Stattdessen änderten sich ihre Gefühle für ihn ständig, waren ein verwirrendes Knäuel widersprüchlicher Empfindungen.
Er war jahrelang ihr bester Freund gewesen, Außenseiter genau wie sie. Beinahe so etwas wie ein großer Bruder. Er war der Junge gewesen, der sehr viele Misshandlungen ihretwegen in Kauf genommen hatte in dem nie enden wollenden Versuch, sie zu beschützen. Und, du liebe Güte, wie sehr hatte sie den Jungen geliebt, der er damals war.
Aber unter diesen Gefühlen gab es eine neue ablehnende Haltung, eine unterschwellige Feindseligkeit, die ihr ständig zu schaffen machte, wann immer sie daran dachte, wie er all das weggeworfen hatte. Bitter wie Galle kam es ihr jedes Mal hoch, wenn sie sich daran erinnerte, wie er, als sie Gott sei Dank endlich den schlechten Ruf losgeworden war, der sie all die Jahre in Kells Crossing verfolgt hatte, ihr mutwillig zu einem brandneuen Ruf verholfen hatte, mit dem sie nun leben musste.
Es spielte keine Rolle, dass sie keine Drogen vertickt hatte, genauso, wie es nie eine Rolle gespielt hatte, dass sie kein Snob oder keine Hure gewesen war. Wieder einmal, nicht wegen irgendetwas, was sie getan hatte, sondern wegen ihres Partners, hatte sie die argwöhnischen, feindseligen Blicke geerntet.
Und wieder einmal hatte sie das Stigma überwunden mit einer Haltung, die ihr schon in der Vergangenheit geholfen hatte. Sie hatte alle Anspielungen und scheelen Seitenblicke ignoriert. Sie hatte sich geweigert, auch nur ein Wort über Lonnie zu reden oder darüber, was er getan hatte. Und was ihr am meisten geholfen hatte, war, dass sie bis zum Umfallen gearbeitet hatte.
Lons Bitte, J. R. Garland einen Platz für ihn in der Truppe abzuschmeicheln, hatte ihre widersprüchlichen Gefühle auch nicht gerade aus der Welt geschafft, aber Sasha versuchte jetzt, alles zu verdrängen. Sie wartete in dem zugigen Flur des Portland Coliseum und presste den Telefonhörer ans Ohr, während sie darauf wartete, dass die langsam arbeitenden Mühlen der Gefängnisbürokratie es endlich schafften, sie mit Lon zu verbinden.
Es tat ihr sowieso nicht gut, wenn sich ihr vor Aufregung das Gefieder sträubte. Die meisten Dinge, über die sie gemeinhin nachgrübelte, waren seit langer Zeit vorbei und erledigt, also was machte es für einen Sinn? Und was den Rest anging... nun ja, sie hatte schließlich die Wahl, und sie hatte weiß Gott die Möglichkeit, einfach nein zu sagen zu Lon.
Nur... dass das etwas war, was ihr immer sehr schwer gefallen war.
Plötzlich wurde der Hörer abgenommen am anderen Ende. »Sasha?« Lons aufgeregte Stimme schwebte über den Äther. »Bist du das?«
»Hallo Lonnie.«
»Selber hallo, meine Süße.« Es entstand eine winzige Pause, und dann lachte er plötzlich ausgelassen. »Ich weiß nicht, was du getan hast, Kleines«, sagte er begeistert, »aber das Büro des Gefängnisleiters hat mir gestern mitgeteilt, dass ich den Job kriege. Sasha! Ich kriege den Job! Ich werde wieder eislaufen.«
Sasha wurde ganz schwach vor Erleichterung. Sie hatte vorgehabt, festzubleiben beim Thema J. R.
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