Todesspirale: Roman (German Edition)
ihrer zunehmenden Schönheit.
Sie erfuhr nie, woher das Gerücht kam, aber parallel zu ihrem veränderten Aussehen hatte sie plötzlich einen Ruf. Es galt als ausgemacht, dass Sasha Miller die neue Schlampe der Westseite war. Man flüsterte sich zu, dass sie es mit jedem trieb. Zum ersten Mal hörte sie davon an dem Abend, als sie ihr erstes und letztes Date in Kells Crossing hatte.
Meine Güte, wie hatte sie sich auf dieses Date gefreut. Und es war auch alles gewesen, was sie sich erhofft hatte... bist zu dem Moment, wo sie ihre Tugend wie ein Berserker auf dem Beifahrersitz eines geparkten Wagens verteidigen musste. Sie war schon lange in diesen Jungen verschossen gewesen, hätte sich ihm möglicherweise irgendwann hingegeben, wenn er sie liebevoll und mit Respekt behandelt hätte. Aber sie ließ sich ihre Jungfräulichkeit nicht mit Gewalt nehmen.
Mit einer Entschlossenheit, die ihr gar nicht als etwas Besonderes bewusst war, ließ Sasha nicht zu, dass die Schule zu dem Alptraum wurde, der sie hätte werden können nach diesem Vorfall. Aber es war nicht zu leugnen, dass die Schule ab sofort sehr unangenehm wurde. Jungs, mit denen sie zuvor kaum gesprochen hatte, behaupteten plötzlich, mit ihr geschlafen zu haben und machten Schmatzgeräusche, wenn sie auf dem Flur an ihnen vorbeiging; die Mädchen hörten abrupt auf zu reden, sobald sie einen Raum betrat.
Lonnie sprang mehr als einmal für sie in die Bresche, wenn er sah, wie irgendein Highschool-Schwerenöter Sasha gegen einen Spind presste, während seine Hände sich überall dort befanden, wo sie nichts zu suchen hatten. Und auch einige wenige andere brave Seelen versuchten, sich der sozialen Rangordnung zu widersetzen und sich mit ihr zu befreunden.
Aber Lonnie hatte seine eigenen Probleme. Mehr als einmal wurde er gegen einen Spind gestoßen, wenn er ihr helfen wollte, und ein wütendes Gesicht und eine giftige Stimme, voller kleinstädtischer Ressentiments, warnte ihn: »Halt dich da raus, du Schwuchtel! Der Tag, an dem ich den Ratschlag eines schwanzlosen Wunderkinds brauche, wie ich mit einer Schlampe umzugehen habe, ist der Tag, an dem ich ebenfalls ein Ballettröckchen anziehe und über’ne Eisbahn tänzel!«
Und Lon, weil er Lon war, hatte immer so gut ausgeteilt, wie er konnte. Er schob seinen Quälgeist beiseite und höhnte: »Ist Inzucht nicht was Tolles, Sasha? Sie erzeugt unglaubliche Intelligenzbestien, wie du an diesem wunderbaren Exemplar siehst.« Er wirbelte herum zu dem Fiesling und schlug vor: »Warum gehst du nicht nach Hause und besorgst es deiner Schwester, Bubba? Wie ich höre, ist die Schlange heute Nachmittag nicht ganz so lang.«
Bis auf Mary Sue Janorowski, das einzige Mädchen in der Schule, dessen Ruf noch schlimmer war als Sashas, mussten die anderen Schüler, die versuchten, gegen den Strom zu schwimmen und sich mit ihr zu befreunden, feststellen, dass ihnen das Leben zur Hölle gemacht wurde, woraufhin sie diesen Versuch aufgaben. Mary Sue, die ihren Ruf in jeder Hinsicht verdiente, kümmerte sich entweder nicht weiter darum, wenn jemand sie ächten wollte, oder sie starrte demjenigen in die Augen und drohte ihm. Sie wusste genau, wer welche Leiche im Keller hatte. Dass ausgerechnet sie ihre einzige weibliche Verteidigerin war, verbesserte Sashas bereits schlechten Ruf absolut nicht, aber das war ihr egal. Mary Sue war die einzige Schulkameradin, an die sie sich mit Wärme erinnerte.
In ihrem letzten Schuljahr nahm das Leben auf der Westseite des Flusses in Kells Crossing alptraumhafte Züge an. Im Februar entließen die Mühlen massenweise Arbeiter, und das verwandelte ihre Nachbarschaft in eine lebende Horrorshow. Hohläugige Männer, die nach abgestandenem Bier und Niederlagen rochen, lungerten zu jeder Tages- und Nachtzeit vor den an jeder Ecke vorhandenen Kneipen herum.
Es wurde so schlimm, dass Sasha davor graute, auf ihrem Nachhauseweg von der Schule an den Kneipen vorbeizugehen. Für diese Männer schien sie den Wohlstand zu repräsentieren, der nur auf der Ostseite des Flusses gedieh. Eine neue Verzweiflung machte sich breit, und sie war der ideale Sündenbock. Arbeitslose Männer betrachteten sie als Tochter des Feindes – der Mühlenbesitzer, die ihr ökonomisches Überleben in der Hand hatten – statt als eine der ihren. Sasha hätte ihnen sagen können, dass die wohlhabenden Bürger der Stadt nicht weniger auf sie herabblickten als jeder einzelne von ihnen, aber das spielte keine Rolle. Sie
Weitere Kostenlose Bücher