Todesspur
Stimme wie mürber Samt.
»Die Weinkartons? Lass sie erst mal stehen, die werden morgen abgeholt. Du kannst für heute Schluss machen, Jamaina.«
Jamaina: schwarze Augen unter schweren, weichen Lidern, ein farbenfrohes Tuch ist um das hoch aufgetürmte, drahtige Haar gewickelt. Die Frau wirft noch einen kurzen Blick auf Jule und Fernando, dann zieht sie die Tür wieder zu, und wenig später sieht man durch die Scheibe des Ladens eine junge, hochgewachsene Frau aufrecht und mit wiegenden Hüften den Gehsteig entlanggehen.
»Die ist ja immer noch da!«, schnauzt Fernando seine Mutter an.
»Natürlich. Warum sollte sie nicht mehr da sein?«
»Aber ich habe dir doch gesagt, dass das nicht geht!«
»Ich bin nun mal nicht mehr die Jüngste, ich brauche Hilfe im Laden, oder willst du, dass ich mich krummarbeite? Du bist doch nie da, wenn man dich mal braucht …«
Fernando fährt dazwischen: »Ich habe nichts dagegen, dass du dir eine Aushilfe nimmst. Aber nicht sie! Das habe ich dir doch lang und breit erklärt, Mama!«
»Warum nicht? Weil sie schwarz ist?«
»Blödsinn!« Fernandos Faust saust auf die Tischplatte. »Stell mich nicht als Rassisten hin!« An diesem Punkt wechselt die Unterhaltung ins Spanische. Jule bekommt dennoch mit, worum es geht: Schwarzarbeit und illegaler Aufenthalt. Pedra Rodriguez ringt die Hände in Richtung eines Schinkens, der über der Kühltheke hängt, und fragt ihren Sohn, ob die Frau seiner Meinung nach lieber betteln gehen oder als prostituta arbeiten solle. Schließlich habe die Ärmste ein Kind, einen kleinen Jungen, der hier in die erste Klasse der IGS Linden gehe. »Sie kommt aus Äquatorialguinea, und ihr Verlobter kam aus Garbsen, aber er ist zwei Wochen vor der Hochzeit gestorben, stell dir das vor!«
Fernando entgegnet, er wolle das alles gar nicht wissen, und Pedra schließt den Disput ab, indem sie mit grimmiger Miene klarstellt, das wäre ihre Sache, ihr Laden, und Fernando hätte das nicht zu entscheiden.
»Dann komm auch nicht zu mir, wenn du wegen ihr Ärger kriegst«, schnaubt Fernando und droht als erste Konsequenz ihrer Widerborstigkeit an, den Link zu ihrem Laden von seiner Facebook-Seite zu entfernen. Er wechselt erst wieder ins Deutsche, als er auf eine Schale deutet, die in der Mitte der Tapasplatte steht. »Was ist das für eine braune Pampe?«
»Chakalaka mit Mielie-Pap.«
»Wie bitte?«
»Maisbrei mit scharfer Soße. Ist afrikanisch«, fügt Pedra hinzu.
»Gibt es hier demnächst auch Krokodil?«
»Wenn’s schmeckt. Probier doch mal.«
»Den Teufel werde ich tun!«
»Fernando!« Hektisch schlägt Frau Rodriguez dreimal ein Kreuz über ihrer Brust, um die finsteren Mächte, die ihr Sohn heraufbeschworen hat, zu bannen.
Jule probiert davon und urteilt wenig später: »Scharf, aber gut.«
»Hat Jamaina mitgebracht. Es schadet nicht, wenn wir hier etwas internationaler werden. Seit der Fußball- WM in Südafrika kennen die Leute afrikanische Gerichte und freuen sich, wenn sie so etwas in Linden bekommen.« Als Fernando nicht darauf eingeht, seufzt Pedra Rodriguez schwer. »Ich bin mal kurz weg, pass solange auf den Laden auf«, sagt sie zu ihrem Sohn und verschwindet ins Lager, wobei sie die Verbindungstür zum Laden heftig zuknallen lässt.
»Hast du was gegen Schwarze?«, fragt Jule süffisant.
»Jetzt fang du auch noch damit an«, knurrt Fernando und setzt eilig hinzu: »Du hast nichts gehört und nichts gesehen, ja?«
»Natürlich nicht. War ja spanisch.« Diese Online-Sprachkurse bringen doch so einiges, wenn man dranbleibt.
»Sie sieht es nicht ein, dieses sture Weib«, ereifert sich Fernando. »Es geht nicht darum, dass die Frau schwarz ist, sondern dass sie hier schwarzarbeitet! Sie kann doch nicht eine Illegale beschäftigen! Wenn das rauskommt, dann komme ich als Beamter in Teufels Küche.«
Jule nickt. »Aber ich kann deine Mutter schon verstehen. Manchmal geht Zivilcourage eben vor.«
»Was soll das heißen? Dass ich ein Feigling bin?«, ereifert sich Fernando.
»Nein. Aber sonst klebst du doch auch nicht an den Buchstaben des Gesetzes. Außerdem ist sie sehr hübsch, findest du nicht? Dieser schwermütige Blick, der stolze Gang … «
Fernando sagt nichts dazu, und eine Weile widmen sie sich schweigend dem Essen. Dann tippt Jule auf ihrem Handy herum, bis sie auf YouTube eine Aufzeichnung aus einem Konzert der Grizzlys gefunden hat. Sie reicht Fernando einen der kleinen Kopfhörer, beide beugen sich über das Display und
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