Todesspur
und grinst. Fett, breit und auf Weißwandreifen verstopft der rosa Cadillac die Straße. Er hat ein bisschen herumfragen müssen. Zwar kannte man den Typen gleich am ersten Kiosk und wusste auch, dass ›Oumra‹ an den Nachmittagen oft im Musikzentrum unterrichtet, aber dort klärte man ihn auf, dass sich die Übungsräume des Zentrums über die ganze Stadt verteilen. Man riet ihm, es im alten Luftschutzbunker in der Rotermundstraße zu versuchen. Nun ragt der dreistöckige Betonkoloss düster und bedrohlich vor Fernando auf. Der untere Teil ist mit Graffiti besprüht. Wein rankt sich an einer Ecke empor, das rote Laub sticht vom grauen Beton ab wie glühendes Eisen. Die Fenster sind zugemauert, vergitterte Lüftungsrohre sorgen für Sauerstoff. Fernando gruselt es, als er sich vorstellt, wie die Menschen bei Bombenalarm aus ihren Betten gerissen wurden, um dann hinter diesen dicken Mauern zusammengepfercht auszuharren, nicht wissend, wie ihr Zuhause aussehen würde, wenn sie wieder herauskamen.
Er geht einmal um den Bau herum und steht dann zögernd vor der stählernen Tür. Besonders einladend sieht der Bau wirklich nicht aus. Bestimmt ist es da drin saukalt. Er horcht. Ein Workshop mit Conga- und Bongo-Trommeln – da müsste man doch was hören. Quatsch! Das ist ein Bunker, das Ding ist bombensicher, die Wände sind über zwei Meter dick, und die Tatsache, dass man draußen nichts hört, ist ja wohl der Grund, warum sich Bunker als Übungsräume für Musiker gut eignen. Er muss wohl oder übel da hinein, es sei denn, er möchte für unbestimmte Zeit auf der Straße herumlungern und auf diesen Kerl warten. Er öffnet die schwere Tür. Abgestandene Luft schlägt ihm entgegen. Wie erwartet ist es, als würde man einen Kühlschrank betreten. Kalkausblühungen wuchern aus dem Stahlbeton und leuchten weiß im Neonlicht. Das Innere des Gebäudes war ehemals in kleine Kabinen unterteilt gewesen, deren Trennwände später entfernt wurden, sodass größere Räume entstehen konnten. Die Tür schlägt hinter ihm zu, Fernando fährt zusammen. Wenn jetzt das Licht ausgeht … Er widersteht mühsam dem Impuls, auf der Stelle umzukehren, als er den Klang von Trommeln hört. Das Geräusch kommt von oben. Fernando steigt eine schmale Treppe hinauf, wobei er versucht, dieses alberne Herzklopfen zu ignorieren. Ein langer Gang, Türen, Betonwände mit abgerissenen Plakaten und Graffiti. Er streckt vorsichtig den Kopf durch die Tür, hinter der er die Geräusche wahrnimmt. Er ist richtig. Oumra wendet sich um, ein gutes Dutzend Augenpaare sehen Fernando neugierig an. Ja, erinnert sich Fernando, er hat den Typen schon öfter gesehen, auf Plakaten oder in der Zeitung: ein farbiger Muskelprotz in schrillen Klamotten. Heute trägt er türkisfarbene Hosen von abenteuerlichem Schnitt, dazu eine silbrig schimmernde Weste, die die überbreite Brust nur knapp bedeckt. Natürlich darf die fette Goldkette dort nicht fehlen. An seinen trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit nackten Füßen kleben Flipflops, seine Frisur ist ein Kompromiss zwischen Brikett- und Rasta-Look, den Fernando niemals für möglich gehalten hätte. In einem wiegenden Rappergang bewegt sich der Künstler auf ihn zu.
»Yo, Mann, was willst du? Hier ist Unterricht.«
Fernando erklärt ihm, worum es geht.
»Yo, Mann, geht klar. Du musst aber noch etwas warten, okay? Halbe Stunde, yo? Ich kann die Kids nicht früher wegschicken, das würden die mir krass übel nehmen, yo. Aber du kannst reinkommen, Mann. Setz dich hin.«
Widerstrebend folgt Fernando der Aufforderung. Immerhin ist der Raum hell und nicht gar so kalt. Poster zieren die Betonwände. Die »Kids« sind fünfzehn Jugendliche im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren. Vier Mädchen sind dabei und zwei schwarze Jungs. Sie sitzen im Halbkreis, teils auf Stühlen, teils auf niedrigen Hockern. Einige haben Trommeln unterschiedlicher Größe vor sich. In der Mitte des Raums stehen zwei große, hölzerne, mit Fell bespannte Congas auf einem Stativ. Ein ernst blickender Junge wartet davor.
Fernando findet einen freien Stuhl gleich neben der Tür. Neugierige Blicke streifen ihn, es entsteht ein Getuschel, das Oumra mit einer Handbewegung stoppt.
»Yo, lasst euch nicht stören, konzentriert euch wieder. Tayab, gib uns einen Sambarhythmus. Denk daran: Samba, das ist Lebensfreude, yo, das ist Feuer, also lächle, Bruda, smile !«
Der Unterricht geht weiter. Abwechselnd treten die Schüler an die große Trommel. Sobald
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