Todesspur
das wird oft verwechselt. Beim Rugby wird nur der Spieler attackiert, der den Ball trägt. Und das nur bis zur Schulterlinie – so lautet jedenfalls die Regel. Das Spiel kommt aus England und hat die gleichen Wurzeln wie Fußball.«
Klingt wie eine Erklärung, die man Müttern gibt, um sie zu beruhigen, denkt Oda. Aber Frau Döhring ist keine Mutter, die etwas dem Zufall überlässt, sicher hat sie sich Training und Spiele genau angesehen, ehe sie ihren Sohn diesen Sport ausüben ließ. Dabei fällt Oda noch etwas ein: »Wo ist eigentlich Olafs Schlagzeug?«
»Im Probenraum.«
»Ist der im Keller?«
»In der Zeißstraße. Valentin Frankes Vater leitet eine Cateringfirma, die dort ihr Lager hat. Er hat den Jungs eine Ecke in der Halle freigeräumt, wo sie üben können. Er ist übrigens auch der Trainer der Rugbymannschaft.«
Frau Döhring begleitet Oda und Völxen durch das Marmortreppenhaus nach unten. Vor der Wohnungstür im Erdgeschoss, an der ein goldenes Messingschild mit dem Namen Beuer prangt, bleibt Völxen stehen. »Wir würden dann gerne noch mit Ihrer Mutter sprechen. Vielleicht ist ihr gestern was aufgefallen.«
Frau Döhring macht eine abwehrende Handbewegung und flüstert: »Oh, bitte! Hat das nicht noch etwas Zeit? Ich habe es ihr noch gar nicht gesagt, und ich möchte nicht, dass sie es von Ihnen erfährt. Mein Gott, ich weiß gar nicht, wie ich ihr das beibringen soll! Mein Vater ist nämlich erst vor einem Jahr gestorben, und jetzt … «
»Ist gut«, beruhigt Völxen die Frau. »Wir kommen noch mal wieder. Wir finden alleine raus, danke.«
In der Einfahrt steht ein dunkelgrauer VW Passat, nicht mehr ganz neu, aber gut in Schuss. »Komisches Auto für einen Studenten«, flüstert Oda. »Beige Ledersitze … «
»Man hat’s eben«, erwidert Völxen ebenso leise. »Oder der stammt vom verstorbenen Großvater.«
»Das kann sein. Also, wenn du mich fragst: Ruben scheint das schwarze Schaf zu sein – Verzeihung.«
»Schon gut«, meint Völxen, der inzwischen gegenüber den Schafswitzen seiner Mitarbeiter abgestumpft ist.
Ein schwarzer Audi Q 7 biegt in die Einfahrt und parkt neben dem Passat. Herr Döhring steigt aus. Hauptkommissar Völxen geht zu ihm, stellt sich vor und versichert dem Vater des Mordopfers, dass der Fall seines Sohnes höchste Priorität hat. Herr Döhring nimmt das nickend zur Kenntnis. Einen Gruß murmelnd verschwindet er im Haus.
9
Jule hastet den Gang entlang und schlüpft durch die Tür des Sektionssaals. Sie kommt viel zu spät, Dr. Bächle legt gerade sein Diktiergerät weg und weist seine Assistentin an, den Brustkorb des Jungen wieder zuzunähen. Einen kurzen Blick auf den Toten werfend, muss Jule daran denken, wie sie Olaf eben auf dem Display ihres Handys in lässiger Haltung am Schlagzeug sitzen gesehen hat. Dieser zerschnittene Körper mit dem geschorenen Kopfhaar, der da auf dem Metalltisch unter der grellen Lampe liegt, hat kaum Ähnlichkeit mit dem Jungen am Schlagzeug, und noch nicht einmal besonders viel mit dem Toten, der heute Morgen auf der Straße gelegen hat. Jule hat normalerweise kein Problem mit Sektionen, meist findet sie sie sogar sehr interessant, aber in diesem Fall ist sie froh, dass die Prozedur schon vorüber ist. Neben dem Tisch der Pathologin steht ein hochgewachsener Mann mit kurz geschorenen Haaren. Dieser Chemotherapiepatienten-Look scheint gerade der Megatrend zu sein, registriert Jule. Der Mann hat ein schwarzes Notizbuch in der Hand, in das er gerade etwas hineinschreibt. Das Klassenbuch , durchzuckt es Jule. Schülerin Alexa Julia Wedekin ist fünfzig Minuten zu spät zum Unterricht erschienen …
Er steckt das Notizbuch ein, kommt auf Jule zu und drückt ihr kurz und einen Tick zu kräftig die Hand. »Hendrik Stevens, Staatsanwalt.« Ganz nach Vorschrift trägt er einen grünen Kittel und einen Mundschutz, den er jetzt abnimmt. Er dürfte Ende dreißig sein. Glatt rasiert, schmaler Mund, stechender Blick aus graugrünen Augen hinter einer dünnrandigen Brille. Ein Gesicht wie ein Leitzordner, findet Jule. Ob er überhaupt lächeln kann?
»Kommissarin Wedekin vom 1 . 1 . K .«
»Wie schön, dass sich von Ihrem Dezernat auch mal jemand hier blicken lässt.«
Der soll sich mal nicht so aufplustern, dieser Wichtigtuer! Ehe Jule zu einer halbherzigen Entschuldigung ansetzen kann, springt Dr. Bächle wie ein weißer Ritter in die Bresche: »Es tut mir leid, Frau Wedekin, i alter Depp hob ganz vergesse’, Ihne’ zu
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