Todesspur
führt. »Wenn du mich schon festnimmst, Mann, dann möchte ich das volle Programm, yo.«
Fernando sieht sich um. Die drei rauchenden Trommelschüler stehen noch immer an der Ecke, sehen zu ihnen herüber und halten die Daumen nach oben. Ach, so ist das! Oumra möchte was für seinen Ruf tun, und ein Abgang in Handschellen wäre natürlich obercool. »Handschellen, ja? Vielleicht auch noch das SEK dazu?«
»Ist nicht nötig, Mann«, winkt Oumra generös ab.
Der Wagen hält vor ihnen, zwei Beamte steigen aus. Fernando instruiert die Kollegen und sagt zu Oumra, der noch beim Einsteigen seinen Fans zuwinkt: »Wir sehen uns auf der Dienststelle.«
»Yo, Mann, geht klar, Bruda.«
10
»Luis hat Olaf immer so bewundert, er war wie ein großer Bruder für ihn.«
Olivia Tiefenbach hat ihre dünnen Beine in den engen Jeans um die des Küchenstuhls geflochten. Sie trägt jetzt eine blaue Leinenbluse, ihr Haar ist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihr Gesicht noch schmaler erscheinen lässt. Sie pult ein Papiertaschentuch aus einer Packung, die auf dem Tisch liegt, und wischt sich damit unter den Augen herum. Sie sind braun und mit schwarzem Kajal umrahmt, der nun verschmiert. Ihr Mann, Julian Tiefenbach, kocht Tee für die Beamten. Oda mustert seinen breiten Rücken in dem schwarzen T -Shirt und die graue Künstlermähne. Er ist älter als seine Frau, hart am Rande der besten Jahre. Was war er noch gleich? Ach ja, Professor für Informatik. Sieht eigentlich eher nach Philosophie oder Kunstgeschichte aus.
Frau Tiefenbach klagt zum wiederholten Mal, wie furchtbar das alles sei, dass sie es noch gar nicht fassen könne und dass sie sich große Sorgen mache, wie ihr Sohn Luis das Geschehen verkraften würde. Als er vorhin nach Hause kam, wurde der zarte Junge, der offensichtlich der Mutter nachschlägt, von seinen Eltern begrüßt, als wäre er knapp dem Tode entronnen. »Er hat schon in der Schule mit der Polizei gesprochen, müssen Sie ihn auch noch verhören?«, hat Frau Tiefenbach besorgt gefragt.
»Nein, erst mal nicht«, hat Oda geantwortet. Auf Geheiß seiner Mutter ist Luis dann in den Garten gegangen, wo er jetzt mit dem Hund spielt. Im Ofen bäckt eine vegetarische Fertiglasagne, für die sich die Hausfrau schon entschuldigt hat: »Normalerweise essen wir so was nicht, aber heute … «
Oda merkt, dass sie Hunger hat, und auch Völxen wirft begehrliche Blicke auf die Plastikschale hinter der Scheibe des Ofens.
Julian Tiefenbach beugt sich über den großen Küchentisch und gibt Oda die Gelegenheit, seinen Bizeps zu bewundern, während er aus einer schweren Eisenkanne Tee in die Tassen gießt. Er riecht wie frisches Heu. Vermutlich handelt es sich um selbst gepflückte Kräuter, denn quer durch den Raum hängen getrocknete Kräutersträuße an einer Schnur. Die Küche der Tiefenbachs ist eine gelungene Kombination aus Massivholz und Edelstahl und strahlt mehr Gemütlichkeit aus als die der Döhrings. Oda muss an Tians chinesische Kräuter denken, die in der Lage sind, Kopfschmerzen in Windeseile zu vertreiben und nichts als ein leichtes, schwebendes Wohlgefühl zurückzulassen. Ach, Tian … Oda fürchtet angesichts der Ereignisse um ihr geplantes gemeinsames Abendessen.
Als Tian sie vor fünf Monaten zum ersten Mal um eine Verabredung bat, war Oda bereits seinen Händen verfallen gewesen, denn seine Massagen bewirkten wahre Wunder bei ihrem chronisch schmerzenden Rücken. Davon abgesehen ging sie mit ihm aus, weil sie dachte, sie könnte sich einen Abend lang leidenschaftlich mit ihm über Gott und die Welt streiten. Bei den Massagen war das nicht möglich, dabei legte Tian Tang großen Wert auf beiderseitige Schweigsamkeit und Konzentration auf den Körper. Einem Disput mit einem klugen Menschen geht Oda niemals aus dem Weg, ganz im Gegenteil. Und es gibt wohl kaum zwei Menschen, die in ihren Ansichten und ihrem Charakter unterschiedlicher sein könnten als dieser Chinese und sie – so dachte Oda und sagte kampflustig zu. Das kann ein lebhafter Abend werden, freute sie sich und wetzte im Geheimen schon die verbalen Messer. Lebhaft und leidenschaftlich wurde es dann tatsächlich, allerdings wurde dabei nicht allzu viel geredet … Ihre Gedanken drohen abzuschweifen, Oda ermahnt sich, zur Gegenwart zurückzukehren.
»Sie waren also mit den Döhrings im Varieté«, wendet sich Völxen soeben an den Hausherrn. »Sind Sie auch zusammen nach Hause gefahren?«
»Nein. Ralf und Constanze wollten
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