Todesspur
ein junger Mann, der sie nur um wenige Zentimeter überragt. Sein dunkles Haar ist verwuschelt, die tief liegenden Augen blicken die Polizisten finster an. Völxen erkennt keine Ähnlichkeit mit seinem Bruder.
»Ruben Döhring, nehme ich an?«, fragt Völxen und stellt sich und Oda vor. »Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Bruder geschehen ist.«
»Ach ja?«, fragt Ruben und kräuselt hämisch die dünn beflaumte Oberlippe.
»Ja«, bestätigt Völxen ernst. »Wir möchten auch Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Meinetwegen«, sagt der junge Mann gönnerhaft. »Aber drüben.« Sie gehen ins Wohnzimmer, wo sich Ruben in die Ecke der riesigen Couch fläzt.
»Waren Sie gestern Abend hier?«, fragt Völxen, der ebenso wie Oda stehen geblieben ist.
»Ja.«
»Haben Sie Ihren Bruder gesehen?«
»Ja. Er hat sich in der Küche eine Pizza gemacht.«
»Wie spät war es da?«
»So acht vielleicht.«
»Was hat er dann gemacht?«
»Dann hat er sie gegessen«, antwortet Ruben und sieht die Ermittler genervt an. Oda pariert den Blick, während ihr Vorgesetzter fragt: »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nicht viel. Er hat erzählt, dass sie das Spiel gewonnen haben. Dann ist er rauf in sein Zimmer.«
»Hat er gesagt, dass er später noch mal wegwollte?«
»Nein. Aber ich hab gehört, wie er rausgegangen ist.«
»Wann war das?«
»Um neun, ungefähr.«
»Was haben Sie in der Zeit gemacht?«
»Ich habe hier gesessen und noch eine knappe Stunde ferngesehen.« Er weist mit dem Kinn auf die freie weiße Wand gegenüber. An der Decke über der Couch ist ein Beamer angebracht.
»Allein?«, fragt Oda.
»Ja. Waren ja alle weg. Ich habe eigentlich nur gewartet, bis der Wäschetrockner fertig ist. Danach habe ich meine Wäsche rausgenommen und bin zurück in die Nordstadt. Wir haben nämlich noch keine Waschmaschine in unserer WG .«
»Wie sind Sie dorthin gefahren?«, will Völxen wissen.
»Mit meinem Wagen. Steht vor der Tür.«
»Warum sind Sie überhaupt hergekommen? Wo doch erst gestern Waschtag war«, forscht Oda.
Ruben schnaubt. »Weil heute Morgen schon Riesenalarm war, ob ich Olaf gesehen hätte. Ich wollte wissen, was los ist. Außerdem habe ich gestern mein Laptop hier vergessen.« Er streicht sich durch sein wirres Haar und über den Nacken. Offenbar fühlt er sich unwohl unter den Blicken von Odas Gletscheraugen.
Auch Völxen betrachtet den Jungen prüfend, während er sagt: »Nach derzeitigem Ermittlungsstand wurde Ihr Bruder brutal erschlagen. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wer ihm das angetan haben könnte?«
»Nein.« Rubens Miene ist unbewegt.
»Kennen Sie jemanden, der ihn nicht mochte, mit dem er Streit hatte?«
»Da müssen Sie schon seine Kumpels fragen. Ich hatte mit Olaf nicht so viel zu tun.«
»Wieso das?«
Wieder wird Rubens Stimme laut: »Vielleicht, weil er vier Jahre jünger ist als ich? Weil er andere Freunde hat?« Er verzieht trotzig den Mund und wirkt dabei sehr kindlich. Dann wird er wieder leise, beherrscht: »Aber ich bin eh raus hier, nicht wahr, Mama ?«
Die Angesprochene steht mit ineinander verknoteten Händen in der Tür. »Ruben, bitte … «, beginnt sie, verstummt dann aber, dreht sich um und geht weg.
»Danke, das war’s dann erst mal«, sagt Oda. »Wo können wir Sie erreichen?« Ruben Döhring nennt Oda seine Handynummer und seine Adresse in der Nordstadt. Oda notiert sich die Daten und fragt sich dabei: Warum spendet er seiner Mutter nicht ein kleines bisschen Trost, anstatt gerade jetzt auf ihr herumzuhacken? Was ist los in dieser Familie? Das sieht nach mehr aus als der üblichen Rivalität unter Geschwistern.
Als die Beamten aufbrechen, erscheint Constanze Döhring wieder und bringt sie zur Tür. Sie entschuldigt sich für ihren Sohn. »Er hat es eben erst erfahren. Sie müssen verzeihen, wenn er ein wenig ruppig war.«
»Kann ich mir die mal ansehen?« Oda deutet auf eine Sporttasche, die vor der Treppe zum Kellergeschoss steht.
Frau Döhring nickt. »Ich habe noch nicht reingeschaut«, sagt sie, während Oda mit spitzen Fingern den leicht nach Schweiß riechenden Inhalt zutage fördert: Vereinstrikot und Hose, beides schmutzig, eine Unterhose, ein Energy-Drink, fast leer, Duschzeug, ein Zahnschutz und ein Stirnband. In einem separaten Fach stecken Stollenschuhe, an denen Erde und Gras haften.
»Spielt man Rugby nicht mit Protektoren und Helm?«, wundert sich Völxen.
»Nein«, antwortet Frau Döhring. »Es ist nicht so hart wie American Football,
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