Todesspur
hinunter nach draußen. Mit einem dumpfen Laut fällt die Bunkertür hinter ihnen zu. Aufatmen. Endlich wieder Licht, Luft und sogar ein bisschen Sonne! Fernando beschließt, die letzten drei Minuten seines Lebens aus dem Gedächtnis zu löschen. Er teilt dem Lehrer seine Verwunderung über den disziplinierten Unterricht mit.
Oumra lächelt ein wenig von oben herab. »Yo, Mann, du wunderst dich, dass die freiwillig am Nachmittag hier sitzen und trommeln? Wo sie doch eigentlich mit Messerstechen, Drogendealen und der Planung von Ehrenmorden beschäftigt sein müssten?«
»Genau«, grinst Fernando.
Oumra nickt wissend. Auf dem Weg zu seinem pinkfarbenen Amischlitten erklärt er unaufgefordert: »Yo, Bruda, das hier ist nicht die Schule. Die Kids sind freiwillig hier. Wer stört, fliegt raus, da bin ich gnadenlos. In einem anderen Kurs ist mir neulich einer mit ›Fick dich doch‹ gekommen. Yo, den habe ich gepackt und an den Füßen aus dem offenen Fenster gehalten. Das war im zweiten Stock, yo, Mann.« Oumra kichert selbstzufrieden und klappert mit den Autoschlüsseln. »Die Kids haben Respekt vor mir, yo, Respekt! Die wissen genau, bei Oumra wird kein Quatsch gemacht. Aber sie wissen auch, ich bin für sie da, wenn sie doch irgendwie Scheiße gebaut haben, yo.«
»Womit wir beim Stichwort wären«, hakt Fernando ein. »Der Mord an dem Jugendlichen. Der Junge war Mitglied einer Band namens Grizzly . Sagt Ihnen das was?« Auch wenn dieser Oumra ihn plumpvertraulich duzt, belässt es Fernando doch lieber beim Sie.
Der Musiker winkt verächtlich ab. »Yo, Mann, so ’ne Poser-Band.«
»Die Jungs haben hier einen Workshop besucht … «
»Ich weiß.«
»… und bald wollten sie im Musikzentrum eine Abi-Party geben. Das scheint einigen hier nicht zu gefallen.«
»Wundert dich das, Bruda?«, fragt der Rapper zurück.
»Die Bandmitglieder sind auf offener Straße bedroht worden. Und Sie sollen den Streit geschlichtet haben.«
»Was für ein Streit, Mann? Ich erinnere mich an keinen Streit.« Oumra verschränkt die Arme vor seiner Brust. Die Muskeln verbeulen die Lederjacke. Kein Wunder, dass die Kids Respekt vor ihm haben.
»Ach, kommen Sie, doch nicht diese Leier«, winkt Fernando ab.
»Tut mir leid, Bruda.«
»Es gibt Zeugen dafür.«
»Yo, Zeugen, sagst du? Mag sein, Bruda, aber ich erinnere mich nicht.« Oumra macht Anstalten, sich in seinen Amischlitten zu setzen, aber Fernando stellt sich vor die Fahrertür.
»Ich möchte Ihre Papiere sehen.«
»Yo, Papiere, klar. Liegen da drin.«
»Dann holen Sie sie raus.« Die Hand dicht am Holster mit der Dienstwaffe beobachtet Fernando jede Bewegung, mit der Oumra seine Brieftasche zutage fördert. Er besitzt einen deutschen Personalausweis, aus dem hervorgeht, dass er mit bürgerlichem Namen Jamil Schaller heißt und am 4 . April 1972 in Braunschweig geboren wurde. »Mein Vater war Deutscher. Meine Mutter stammt aus Gabun«, erklärt er ungefragt.
»Also, Herr Schaller. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie sagen mir, wer die Jungs sind, die das Mordopfer und seine Freunde bedroht haben, oder ich rufe jetzt einen Streifenwagen und lasse Sie auf die Dienststelle bringen. Dort können wir die Befragung dann fortsetzen.«
Oumra streckt die Hände gen Himmel, als wollte er um Regen beten. »Yo, Bruda, kapier das doch: Ich kann hier niemanden hinhängen. Die Jungs hier vertrauen mir.«
Drei seiner ›Jungs‹ haben es bis zur nächsten Straßenecke geschafft, wo sie die Köpfe zusammenstecken und sich Zigaretten anzünden. Als sie sehen, dass Oumra und Fernando zu ihnen herüberschauen, grinsen sie.
»Versteh doch: Wenn sich hier rumspricht, dass ich Leute verpfeife, dann bin ich erledigt, yo. Ich kann dir nicht weiterhelfen, Mann!«
Fernando kann die Argumente des Rappers sogar nachvollziehen, aber schließlich geht es nicht an, dass ein Zeuge in einem Mordfall schweigt, weil er Angst um seine Weißwandreifen hat. »Wie Sie wollen!« Fernando greift zum Handy.
»Du machst einen Fehler, yo, Bruda, glaub mir.«
»Das sagen sie alle, Bruda «, antwortet Fernando, woraufhin der Rapper schweigt, bis der Streifenwagen um die Ecke biegt.
»Hier kommt dein Taxi. Ich lass dir keine Handschellen anlegen, aber mach keinen Scheiß, ja?«, mahnt Fernando, unwillkürlich zum Du wechselnd.
»Ich möchte aber Handschellen!« Der Rapper streckt Fernando seine üppig beringten Hände hin, obwohl jeder sehen kann, dass Fernando keine Handschellen mit sich
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