Todesspur
gedacht, es wäre etwas Schlechtes, ein Makel, den man verbergen müsse. Ich denke, er hätte weniger Unfug angestellt, wenn Olaf nicht gewesen wäre. Manches tat er sicher nur, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das war seine Art, um Liebe zu betteln.«
»Was war das für Unfug?«
»Sachen kaputt machen, sich prügeln. Mit fünfzehn hat er sich mal das Auto seines Vaters geschnappt und ist damit in der Gegend rumgefahren. Die Fahrt endete am Zaun einer Gartenkolonie. Ich glaube ja, dass Ruben manchmal von Olaf angestiftet wurde. Der brauchte ihn nur einen Feigling zu nennen, und schon hat Ruben alles Mögliche getan – und musste dann alleine dafür geradestehen.« Sie seufzt. »Armer Junge. Wissen Sie, mein Mann und ich haben uns immer ganz gut mit Ruben verstanden, je älter er wurde, desto besser. Er hing vor allem sehr an meinem Mann, die beiden kamen gut miteinander aus. Seltsam, nicht wahr?«
»Sie haben nichts von ihm erwartet, deshalb hatte er nicht so eine Angst, Sie zu enttäuschen«, versucht Oda eine Erklärung. Frau Beuer sieht sie an, ein Lächeln glättet den Faltenkranz ihrer Lippen. »Ja, das ist durchaus möglich, Frau Kristensen. So habe ich es noch gar nie betrachtet. Sie sind eine kluge Kommissarin.«
»Danke.«
»Nachdem mein Mann gestorben war, es wird im Dezember ein Jahr, hat Ruben hier nichts mehr gehalten. Ist wohl auch besser so.«
»Glauben Sie, dass Ruben Olaf gehasst hat?«
Die grauen Augen der Großmutter richten sich auf die Kommissarin, sie blinzelt. »Ich weiß es nicht«, sagt sie leise. »Schon möglich.«
Für ein paar Momente ist es ruhig, nur eine Standuhr schlägt. Halb vier. Das wird heute nichts mit einem pünktlichen Feierabend.
»Warum fragen Sie so viel nach Ruben? Denken Sie, dass Ruben Olaf ermordet hat?«
»Wir ziehen es zumindest in Erwägung«, antwortet Oda. Sie hat das Gefühl, dass man Frau Beuer nichts vormachen kann. Deren Blick wandert zum Fenster hinaus und verfängt sich im Garten. Eine Amsel hüpft auf dem Rasen herum und zerrt an einem Regenwurm. Wieder ist es still, aber Oda spürt, dass die Frau noch etwas loswerden möchte, also wartet sie ab.
»Früher, als sie kleiner waren, habe ich oft hier am Fenster gestanden und die beiden heimlich beobachtet, wenn sie im Garten waren, zusammen oder allein. Einmal hat er einen Vogel gefangen, einen jungen Spatzen, nachdem er ihn mit seiner Zwille angeschossen hatte. Damals war er neun oder zehn. Er hat ihm zuerst die Federn ausgerissen, dann hat er sein Taschenmesser genommen und den Vogel seziert. Die Innereien hat er auf einem Stein ausgebreitet und mit einem anderen Stein zermatscht. Als ich Constanze davon berichtete, hat sie behauptet, das wäre jugendlicher Forscherdrang, Kinder wären manchmal unbewusst grausam. Sie hatte immer eine Entschuldigung für ihn parat.«
»Was heißt immer? Kam so etwas öfter vor?«
»Oft genug.«
»Sie hat also nicht mit Ruben über diese Dinge gesprochen?«
Die alte Dame sieht die Kommissarin verwirrt an. »Wieso denn mit Ruben? Ich spreche von Olaf. Olaf hat das getan.«
15
Das traditionelle Café mit der eigenen Konditorei in der Fußgängerzone ist gut besucht. Trotzdem ist Jamil Schaller nicht schwer zu finden, auch wenn er einen Tisch ganz weit hinten gewählt hat. Sein Kopf wird von einer Strickmütze in den jamaikanischen Landesfarben bedeckt, er trägt enge Jeans und hat den Kragen seiner senfgelben Lederjacke hochgeschlagen, obwohl es in dem Café recht warm ist.
»Ein schokofarbener Clown mit verfilzter Brikettfrisur und Pluderhosen, mit dem man kein vernünftiges Wort wechseln kann«, hat Fernando den Mann am Telefon beschrieben.
»Ein sehr origineller Treffpunkt, Herr Schaller«, bemerkt Völxen, nachdem er den Rapper begrüßt hat. »Wollten Sie sichergehen, dass Sie keinen Ihrer Fans treffen?«
»Nein, wieso? Ich bin hier, weil ich auf Kuchen stehe.«
Wie um diese Aussage zu bestätigen, stellt die Bedienung einen Becher Kakao und einen Teller mit zwei Stück Torte auf den Tisch. Käsesahne und Schwarzwälder Kirsch. »Und was darf es bei Ihnen sein?«, fragt sie Völxen, dem beim Anblick der Torten das Wasser im Mund zusammenläuft.
»Einen Earl Grey, bitte.«
»Sehr gern.«
»Und dazu … « Nichts da! Denk an dein Gewicht! Du kannst nicht jedes Jahr ein Kilo zulegen. So eine Sünde müsstest du mindestens mit zwei Stunden Nordic Walking büßen – wenn ’ s reicht! Außerdem, fällt dem Kommissar ein, steht bald die jährliche
Weitere Kostenlose Bücher