Todesspur
und widmet sich der Torte. »Eine gute Wahl, die Holländische Kakao-Stube «, muss er zugeben, nachdem er die Käsesahne zur Hälfte verschlungen hat. Er war schon als Kind mit seiner Mutter hier gewesen. Ein Kakao und ein Stück Apfelkuchen waren die Belohnung, wenn er den verhassten Stadtbummel ohne allzu großes Gequengel durchgestanden hatte.
Schaller bleckt sein Persilgebiss. »Ich verstehe auch nicht, warum die Leute Drogen nehmen. Das hier ist meine Droge!« Er verputzt die Hälfte der zweiten Torte auf einen Sitz.
»Nur schlägt es bei Ihnen offensichtlich nicht so an wie bei mir«, seufzt Völxen, den schon erste Anflüge von Reue quälen.
»Lernen Sie Breakdance, dann können Sie Torte essen, so viel Sie wollen«, lacht der Rapper.
»Großartige Idee«, grinst Völxen, und die anfängliche Reserviertheit zwischen den beiden Ermittlern löst sich zusehends in Käsesahnewolken auf. »Sie erinnern sich also noch an den Streit auf der Straße, zu dem Sie dazukamen?«, fragt Völxen und zieht schon mal sein Notizbuch aus der Westentasche.
Schaller nickt mit vollem Mund.
»Wer waren die Beteiligten?«
»Mabili Turay, Tahir Nazemi, Sascha Lohmann und Sergej Markow. Die drei Letzten sind ziemlich derb drauf. Das hätte übel ausgehen können für diese naiven Vorstadt-Weißbrote.«
»Klingt, als hätten Sie ein Massaker verhindert«, rutscht es Völxen über die Lippen, aber zum Glück scheint Schaller für Ironie taub zu sein.
»Ja, schon möglich.«
Völxen lässt sich die Namen buchstabieren. »Können Sie mir was über die Jungs erzählen?«
»Tahir Nazemi ist afghanischer Abstammung, er dürfte bei Ihnen kein Unbekannter sein, er und seine Kumpels Sascha Lohmann und Sergej Markow hatten in letzter Zeit viel Presse: Ladendiebstahl, räuberische Erpressung, Körperverletzung, Brandstiftung … Diese Idioten haben erst vor zwei Wochen eine Schrebergartenhütte hinterm Hainhölzer Bad abgefackelt. Tahir ist sechzehn und so was wie der Anführer. Er kommt aus einer völlig verwahrlosten Familie, Vater kriminell, Mutter psychisch krank, er hat noch zwei ältere Brüder, alle einschlägig vorbestraft. Seit seinem zehnten Lebensjahr hat er mindestens zwanzig Straftaten begangen, zum Teil auch schwere. Unter anderem brach er einem Lehrer, der einen Streit schlichten wollte, den Kiefer. Er beschäftigt zahlreiche Psychologen, Sozialarbeiter und Vertreter des Jugendamtes und der Justizbehörden, aber die einzige Strafe, die er bis jetzt bekommen hat, war ein lächerlicher sozialer Arbeitseinsatz. Und was lernt er daraus? Dass er nach Lust und Laune Straftaten begehen kann – es geschieht ja nichts. Aus einem Heim, in das er mal kam, ist er nach zwei Tagen abgehauen, dabei hat er noch einer Erzieherin das Messer an den Hals gehalten. Wahrscheinlich wird erst durchgegriffen, wenn er einen umgebracht hat. Wundert es Sie, dass ich so etwas sage?«
»Nein, nein.«
»Es stimmt zwar, dass anfällige Jugendliche im Jugendknast womöglich noch krimineller werden, aber mit diesem Argument kann man doch nicht auf jede Strafe verzichten, oder?« Der LKA -Mann sieht Völxen mit weit aufgerissenen Augen fragend an.
»Sie haben vollkommen recht«, versichert Völxen. »Was meinen Sie, wie oft ich mich schon über Gerichtsurteile geärgert habe. Aber Sie wollten mir noch was über die anderen erzählen.«
»Ja, gewiss. Mabili Turay ist fünfzehn Jahre alt, die Mutter kommt aus Ghana, alleinerziehend, vier Kinder, einen Vater gibt es nicht, nur ab und zu einen Typen, der sich als solcher aufspielt und irgendwann wieder verschwindet. Mabili ist eigentlich kein schlechter Junge, er bräuchte nur dringend jemanden, der ihm sagt, wo es langgeht. Die anderen drei sind kein guter Umgang für ihn. Außerdem nennen sie ihn ›ihren Neger‹, das sagt ja schon alles. Sascha Lohmann stammt aus einer Familie, die in dritter Generation von Sozialhilfe lebt, und ich glaube, noch kein einziges Familienmitglied hat je einen Schulabschluss hingekriegt. Die Hälfte der männlichen Angehörigen sitzt im Knast, sein Vater war auch schon öfter dort, und bei ihm ist es nur eine Frage der Zeit, zumal er auch nicht der Intelligenteste ist. Sergej Markows Familie kam in den Achtzigern aus Weißrussland hierher. Die Eltern sprechen bis heute kaum Deutsch und verkehren nur mit ihresgleichen. Sergej hat zwei ältere Schwestern, die ohne Probleme ihren Realschulabschluss und eine Lehre absolviert haben und ein geregeltes, unauffälliges Leben
Weitere Kostenlose Bücher