Todesspur
führen. Nur bei ihm klappt das nicht. Schule geschmissen, Diebstahl, Einbruch, Schlägereien … Muss wohl am Testosteron-Überschuss liegen. Natürlich brauche ich Ihnen nicht zu sagen, dass in allen diesen Familien Alkohol, Drogen und Gewalt eine große Rolle spielen.«
»Sind das auch die Kinder, die die Drogen verticken?«
Jamil Schaller schüttelt den Kopf. »Nein. Die, hinter denen ich her bin, sind wirklich Kinder. Zwischen neun und maximal dreizehn, also nicht strafmündig. Sie stammen aus Algerien, Marokko und dem Libanon.«
»Verzeihen Sie meine naive Frage: Kann man denn nichts dagegen tun?«
Der Gefragte hebt die Handflächen in Richtung Decke. »Wissen Sie, Herr Völxen, das ist so: In diesen Familien ist das, was der Vater sagt, Gesetz, und nur das. Gewalt ist da ein ganz normales Erziehungsmittel. Um unsere deutschen Gesetze scheren sich diese Kinder null, denn sie fürchten die Strafen ihrer Väter weit mehr als die des Staates – zumal bei uns Minderjährige ja ohnehin keine Strafe zu befürchten haben. Das nutzen diese Leute gnadenlos aus.«
»Und wenn man diese Kinder aus ihren Familien entfernen würde, wenigstens für eine Weile? Würde das nicht abschreckend wirken?«
»Ich wette, dann wären im Nu andere ›Söhne‹ da. Diese Clans sind sehr weitläufig und unübersichtlich. Manche Familienoberhäupter haben noch ein, zwei Ehefrauen im Heimatland sitzen, die für Nachschub sorgen, und oft bin ich mir gar nicht sicher, ob die Jungs wirklich immer die leiblichen Kinder der Leute sind, die sich als ihre Eltern ausgeben. Die für das Ausstellen von Pässen und Geburtsurkunden zuständigen Behörden der jeweiligen Länder sind hoffnungslos korrupt. Es ist ein riesiger Sumpf.«
»Warum nehmen Ihre Kollegen dann die Eltern dieser Kinder nicht hoch, wenn Sie schon wissen, um wen es sich handelt?«
Schaller zuckt mit den Schultern: »Wissen reicht nicht, man braucht gerichtsfeste Beweise. Und nicht nur die Kinder werden notfalls ausgetauscht, auch die Eltern – die wechseln dann einfach mal das Bundesland, wenn ihnen der Boden hier zu heiß wird. Deshalb arbeiten wir gerade mit dem BKA zusammen, wir wollen die Hintermänner kriegen. Denn eins ist klar: Dahinter steht eine straffe Organisation.«
Völxen spießt ein Stück Torte auf die Gabel und denkt: Klar. Hinter Drogenhandel steckt immer eine straffe Organisation. Genau wie hinter Menschenhandel. Anders geht es ja nicht. Er hört solche Geschichten nicht zum ersten Mal und kann inzwischen gut verstehen, warum Fernando seinerzeit wegwollte vom Rauschgiftdezernat. Es ist ein aussichtsloser Kampf. Kleine und mittlere Dealer festnehmen, was bringt das, außer einer Menge Schreibkram und vollen Gefängnissen? Hier und da ein größerer Drogenfund – na und? Der Nachschub scheint unerschöpflich, die Qualität des Heroins ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen, und fast jede Woche wird eine neue Designerdroge auf den Markt geworfen. Hat man mal einen dicken Fisch gefangen, stoßen sofort andere in die Lücke, und die sind oft noch professioneller, noch brutaler, noch skrupelloser als ihre Vorgänger. Es muss frustrierend sein. Aber einfach nichts tun und die Geschäfte ungehindert laufen lassen, kann der Staat natürlich auch nicht, noch dazu, wo er an diesen Drogen nicht mitverdient, denkt Völxen zynisch. Er verleibt sich die letzten Krümel der Käsesahne ein und brummt. »Da lobe ich mir doch eine anständige Mordermittlung.«
Jamil Schaller lehnt sich zurück und klopft sich mit einem wohligen Laut auf den vollen Magen. »Und wie kann ich Ihnen nun dabei helfen?«
»Haben welche von diesen Jungs auch schon Partys organisiert?«
Der LKA -Ermittler nickt. »Tahir und seine älteren Brüder Navid und Haschem. Die stellen ab und zu ein Event auf die Beine. Sascha und Sergej sind dann für die Sicherheit zuständig, fürs Organisieren sind die zu blöd.«
»Und welche Rolle spielen Drogen auf diesen Events ?«
»Natürlich werden da auch Pillen eingeworfen. Ecstasy und anderes synthetisches Zeug. Und vor der Tür wird auch mal ein Joint durchgezogen. Das lässt sich kaum verhindern, da müsste man schon eine Leibesvisitation bei den Gästen vornehmen.«
»Das ist mir klar«, meint Völxen. »Ich habe selbst eine Tochter, die noch vor Kurzem zu jeder Abi-Party gegangen ist, ich weiß, wie es da zugeht.«
Jamil beugt sich über den Tisch und sagt leise: »Hören Sie, Völxen, denken Sie nicht, ich würde das nicht genau
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