Todesspur
Mistkerl vorhin angelächelt hat. Und hätte ich doch bloß den Mund gehalten! Völxen wird auch ohne mich mit diesem Fatzke fertig. Dieser sagt gerade zu dem Hauptkommissar: »Dennoch schlage ich vor, dass wir die Alibis der Jugendlichen überprüfen und sie gegebenenfalls vorladen.«
»Das werden wir sicherlich tun«, entgegnet Völxen. »Aber was, wenn sie keines haben? Ich hätte schon gerne etwas mehr gegen die Jungs in der Hand, ehe wir ihnen auf den Zahn fühlen. Wie wollen wir die denn sonst zum Reden bringen? Wenn wir denen mit nichts als einer vagen Drohung auf der Straße kommen, lachen die uns doch nur aus.«
Man sieht dem Staatsanwalt deutlich an, dass er damit nicht einverstanden ist. Ein bisschen kann Jule es ihm sogar nachfühlen. Als sie vor drei Jahren in das Dezernat für Todesermittlungen und Delikte am Menschen kam, fiel es ihr auch schwer zu realisieren, dass man mit Abwarten manchmal mehr erreicht als mit Aktionismus – warten auf DNA -Auswertungen, auf Laborergebnisse, auf Telefonverbindungsdaten oder die kriminaltechnische Untersuchung eines Fahrzeugs. Manche Todesfälle werden ganz schlicht in den Labors des Rechtsmedizinischen Instituts oder des LKA s aufgeklärt. Je mehr Fortschritte die forensischen Wissenschaften machen, desto öfter ersetzen sie die klassische Polizeiarbeit. Aber eigentlich müsste Stevens das doch wissen, er ist doch nicht erst seit gestern dabei.
»Aber es ist immerhin eine Spur, die man zu Ende verfolgen sollte«, meint Stevens beharrlich. »Ich möchte unbedingt vermeiden, dass wir uns von vornherein auf nur eine Ermittlungsrichtung festlegen.«
»Das wird nicht passieren, da können Sie ganz beruhigt sein«, antwortet Völxen, nun unverhohlen verärgert. »Schließlich habe ich nicht zum Spaß meinen Nachmittag geopfert, um ihre Namen herauszubekommen. Aber alles zu seiner Zeit. Im Moment deutet nichts auf einen Zusammenhang hin, außer einer längst zurückliegenden Straßenpöbelei.«
»Gut, wie Sie meinen«, antwortet Stevens spitz.
Zum Glück klopft Frau Cebulla in diesem Moment an die Tür und meldet, dass Ruben Döhring eingetroffen sei. Völxen nimmt dies zum Anlass, die Runde aufzulösen, nicht ohne Hendrik Stevens zum Abschied zu versichern, er werde ihn selbstverständlich auf dem Laufenden halten.
Und dann passiert es doch: Als der Staatsanwalt an der Tür fast mit Jule zusammenprallt, bleibt er abrupt stehen und lächelt: »Bitte nach Ihnen, Frau Wedekin.« Jule, immer noch sauer, lächelt nicht zurück und schlüpft vor ihm durch die Tür, die er ihr aufhält. Er muss sein Rasierwasser erneuert haben, bemerkt sie dabei. Er ist also ein bisschen eitel. Nun ja, besser als ungepflegt. Trotzdem ist er ein Arsch.
Völxen ruft Oscar zurück, der Frau Cebullas Spur aufgenommen hat, wohl in der Hoffnung, noch mehr Kekse zu ergattern. Er deutet auf den Hundekorb. »Platz!«
Mit unendlich langsamen, plötzlich sehr steifen Bewegungen steigt Oscar in den Korb, von wo aus er sich noch kurz auf ein Duell der Blicke mit seinem Herrchen einlässt, ehe er sich drei Mal um die eigene Achse dreht und schließlich mit missmutigem Seufzen auf sein Kissen sinkt, während Völxen ansetzt: »Ach, Fernando, wegen diesem Jamil Schaller …« Aber Fernando ist nicht mehr im Zimmer – es ist überhaupt keiner mehr da. »Alle weg«, sagt der Hauptkommissar zu seinem Hund. »Wie die Kakerlaken, wenn man das Licht anmacht.« Er verlässt ebenfalls sein Büro, um sich bei Frau Cebulla einen Tee zu holen, und sieht dabei Fernando in Richtung Treppe eilen, den Motorradhelm unter dem Arm. »Wo rennt der hin?«, fragt er Jule, die im Flur steht und ihrem Kollegen ebenfalls verwundert nachschaut.
»Keine Ahnung. Er sagte nur, Sie wüssten schon Bescheid.«
»Ich?«, fragt Völxen erstaunt. Verdammt, wird er allmählich tüdelig? Das ist nun schon das zweite Mal an diesem Tag, dass ihm so etwas passiert.
»Ja. Sie und der Vizepräsident«, wiederholt Jule Fernandos geheimnisvolle Andeutung.
Völxen schlägt sich vor die Stirn. »Ach, du Schande. Dieser Quatsch!«
»Um was geht es denn?«, fragt Jule, brennend vor Neugierde.
»Sie werden es bald sehen«, sagt Völxen und grinst dabei geheimnisvoll.
17
Es ist zehn nach sechs, als Fernando seine Guzzi Bellagio abstellt. Er sieht alles andere als frisch aus, und zum Friseur hat er es auch nicht mehr geschafft. So abgehetzt soll er das neue Gesicht der Polizei Niedersachsens werden? Hoffentlich ist jemand da, der ihn ein
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