Todesspur
das um diese Uhrzeit noch geschlossen hat. Sie unterhalten sich mit Fernando Rodriguez, der sein aufgeschlagenes Notizbuch in der Hand hält. Eine der Damen winkt Völxen kokett zu. Oder meint sie Oscar? Seit er vor sechs Monaten den Hund eines Mordopfers aus seinem Dorf bei sich aufgenommen hat, wird Völxen häufiger von Damen angesprochen, das hat er erfreut zur Kenntnis genommen. Irgendeinen Nutzen muss das Tier ja schließlich haben, resümiert der Hauptkommissar und widmet seine Aufmerksamkeit wieder Jule Wedekin, die gerade erklärt: »Die zwei Damen haben den Toten auf dem Heimweg von ihrem Arbeitsplatz, einem Etablissement im Steintorviertel, entdeckt. Sie kennen ihn, er hat wohl mal in ihrem Bordell gearbeitet. Als so eine Art Hausmeister«, fügt sie hinzu, als sie Völxens verwunderten Blick bemerkt, doch dessen Staunen gilt etwas anderem: »Was habt ihr mit Markstein gemacht, dass der so brav hinter der Absperrung steht?«
»Fernando hat ihm Prügel angedroht und ich ihm einen Bericht versprochen, sobald die Spusi weg ist und das Café dahinten aufmacht.«
Völxen grinst. »Jeder hat so seine Methoden, nicht wahr? Hier, nehmen Sie mal kurz die Bestie.« Er drückt Jule die Hundeleine in die Hand und nähert sich, begleitet von Rolf Fiedler, dem Leichnam. Der liegt vor der Treppe, die an der Kirchenmauer entlang zu einem Seiteneingang mit einer schlichten Holztür führt. Es sieht so aus, als wäre er im Sitzen gestorben und dann umgekippt. Er wirkt ungepflegt, etwas halbseiden. Graues, strähniges Haar – fettig oder feucht vom Morgentau –, schlecht rasiert, die Absätze seiner Schuhe schief abgelaufen, die Sohlen fast durch. Die kognakfarbene Lederjacke war in den Achtzigern sicher mal der letzte Schrei. Nur das Einschussloch in der Brust ist frisch.
»Hülse?«
Fiedler verneint. »Hier lag keine. Aber Blutspuren. Es ist da drüben passiert, auf der Straße, dann hat er sich bis zur Mauer geschleppt, weiß der Teufel, warum.«
»Darf ich?« Eine junge Dame, die einen großen Aluminiumkoffer trägt, duckt sich unter dem Absperrband durch, und Hauptkommissar Völxen begrüßt sie mit den Worten: »Morgen, Frau Clement. Ihr Chef schläft wohl lieber aus, was?«
»Nein, Dr. Bächle steht auf der Drivingrange und übt Abschläge, also habe ich mich erbarmt. Guten Morgen, die Herren.«
»Dann lass ich Sie mal Ihr blutiges Werk verrichten«, meint Völxen.
»Wie ich sehe, hat das schon jemand vor mir getan.«
Der Hauptkommissar gesellt sich zu Fernando und den beiden Damen. Die Dunkelhaarige sagt gerade: »Feinde? Niko? Näh. Das war sicher nur ein Irrtum, eine Verwechslung. Wer sollte dem denn was tun wollen? Und wieso? Der war schon längst nicht mehr im Geschäft.« Ihr Alter ist unter der dicken Schicht Make-up schwer auszumachen, sie spricht mit leichtem, osteuropäischem Akzent.
»In welchem Geschäft denn genau?«, fragt Fernando. »Morgen, Chef. Das sind Olga und Elena. Die Damen haben den Toten gefunden.«
»Ich weiß«, sagt Völxen und Fernando wiederholt seine Frage.
»Früher hatte er angeblich mal zwei, drei Mädchen auf der Herschelstraße stehen. Muss aber schon lange her sein. Bis vor zwei Jahren war er bei uns Wirtschafter. Ab und zu schaute er noch immer vorbei. Hatte wohl Heimweh.«
Elena ergänzt: »Ich vermisse ihn. Der hat einem auch mal ’ne Pizza geholt oder Aspirin, oder was man sonst so braucht.« Ihre prall aufgespritzten Lippen versuchen sich an einem Lächeln. Sie schnippt ihre Zigarettenkippe auf das historische Kopfsteinpflaster. »Arme Stella, die wird sich jetzt endgültig den Verstand wegballern.«
»Wer ist Stella?«, erkundigt sich Völxen.
»Seine Freundin«, antwortet Elena. »War mal ’ne große Nummer auf der Ludwigstraße – behauptet Niko jedenfalls immer. Das ist aber auch schon so lange her, dass sich keiner mehr daran erinnert.«
»Da wurde noch in Reichsmark bezahlt«, lästert Olga. »Jetzt hängt sie in den Bars rum, säuft wie ein Loch und schleppt ab und zu mal noch einen alten Stammkunden auf ’ne Mitleidsnummer ab.«
Etwas poltert. Es ist ein Zinksarg, der unsanft abgestellt wird. Die zwei Damen bekreuzigen sich synchron und seufzen bedrückt.
»Stella – wie weiter?«, fragt Fernando.
»Keine Ahnung«, meint Olga und auch Elena zuckt mit den Schultern. »Die wohnt doch auch bei ihm, oder?« Sie sieht ihre Kollegin Olga fragend unter ihren falschen Wimpern hervor an.
»Ja«, bestätigt Olga. »Die tut mir ja echt leid, das alte
Weitere Kostenlose Bücher