Todesspur
die Melodie von Auf der Reeperbahn nachts um halb eins .
»Neuer Klingelton? Bisschen sehr retro«, findet Fernando.
Das Display des Handys von Nikodemus Riepke zeigt Madame an. Jule drückt auf die grüne Taste.
»Verdammt, wo steckst du?« Eine Frauenstimme, rau und brüchig wie Schotter.
»Hallo?«
»Wer ist denn da?«
»Wedekin, mit wem spreche ich bitte?«
Schweigen.
»Stella?«
»Jah…«, kommt es zunächst verunsichert, aber dann wird sie wütend: »Wer ist da dran? Gib mir sofort Niko, du elende Schlampe!«
Jule legt auf und sagt zu Fernando. »Austrinken, Madame ist zu Hause.«
Auch Stella hat offenbar schon gefrühstückt, jedenfalls riecht ihr Atem dezent nach Sprit, als sie den Ermittlern nach mehrmaligem Klopfen und Klingeln endlich die Tür öffnet. Strohiges, blondiertes Haar umrahmt ein faltiges Gesicht, ihr Teint zeigt das kranke Gelb einer Gänsestopfleber.
»Was gibt’s?«
»Kripo Hannover, können wir bitte reinkommen?«
Sie weicht zurück, macht eine knappe, einladende Geste. »Bitte.«
Die beiden folgen ihr in die Küche. Eine graue Katze nimmt Reißaus. Die Geruchsmischung aus kaltem Rauch, muffiger Kleidung und Katzenpisse raubt einem schier den Atem. Im Spülbecken türmt sich ein Berg schmutziges Geschirr, der Küchenfußboden klebt bei jedem Schritt wie Fliegenleim, in den Wänden hockt der Qualm vieler Jahre. Nach einem Blick auf die zwei Lidl -Tüten voller leerer Flaschen im Flur ist auch klar, dass man sich in diesem Haushalt mit Softdrinks erst gar nicht lange aufhält.
»Auf dem Briefkasten unten steht Heidrun Bukowski – sind Sie das?«, fragt Fernando.
»Ja, Süßer, das bin ich. Stella ist mein Künstlername.« Sie setzt sich mit einer grazilen Bewegung auf einen Küchenstuhl und schlägt dabei die Beine übereinander, gelernt ist gelernt. Dabei fällt ihr Morgenmantel auf. Beine, so dünn wie Stelzen und von einem Netz kleiner blauer Adern überzogen. Die Füße stecken in rosa Plüschpantöffelchen, über den zierlichen Absätzen wölbt sich ein Ring aus rissiger Hornhaut.
Jule gibt sich einen Ruck. »Frau Bukowski, wir müssen Ihnen eine traurige Mitteilung machen … «
Es dauert ein paar Sekunden, bis die Botschaft bei ihr angekommen ist, dann springt Heidrun Bukowski auf, kreischt, dass das eine Lüge wäre, und sieht die beiden Polizisten hasserfüllt an. Fernando entschärft die Situation, indem er zum Kühlschrank geht, in dem sich an manchen Stellen schon intelligentes Leben zu bilden beginnt. Er nimmt die Wodkaflasche heraus, säubert ein Wasserglas über der Spüle und gießt ihr einen großzügig bemessenen Schluck ein. »Hier, auf den Schock.«
Stella lässt sich wieder auf den Stuhl sinken und trinkt. Man kann förmlich zusehen, wie das Gehörte langsam in ihr Hirn sickert. Jule setzt sich ihr gegenüber und versucht, dabei nicht die klebrige Tischplatte zu berühren. »Wann haben Sie Ihren Freund zuletzt gesehen?«
»Gestern Abend. Da ist er noch mal weg. So um halb elf.«
»Wo wollte er hin, hat er Ihnen das gesagt?«
»Der sagt mir doch nie, wo er hingeht. Aber ich weiß eh, wo er die meiste Zeit rumhängt. Am Kiosk auf der Vahrenwalder. Oder bei seinem alten Puff in der Scholvinstraße.«
»Hatte er Streit mit jemandem? Wurde er vielleicht bedroht?«
Sie schüttelt den Kopf. »Der alte Wichtigtuer, der hat doch schon lange nichts mehr zu melden, wer sollte den denn bedrohen? Wegen was denn?«
»Wovon lebte Ihr Freund?«
»Frührente, seit zwei Jahren. Davor war er Wirtschafter in der Eros Gasse .«
»Wirtschafter? Was ist das?«, will Jule wissen.
Stella sieht Jule an, als käme sie von einem anderen Stern, und aus ihrer Sicht ist das wahrscheinlich auch so. »Das sind die Jungs für alles.«
»Sie arbeiten ebenfalls im Gewerbe?«, fragt Fernando vorsichtig.
Stella nimmt Haltung an. »Ich war Tänzerin. Und ja, später bin ich anschaffen gegangen. Ich bin angemeldet, alles nach Vorschrift. Nicht wie die ganzen Illegalen von Gott weiß woher, die einem inzwischen das Geschäft versauen!«
»Arbeiten Sie auch in einem der Bordelle am Steintor?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich bin selbstständig.«
»War Herr Riepke Ihr … Manager?«, erkundigt sich Fernando.
»Ob Niko mein Lude war?«
»Äh, ja.«
»Nein«, kommt es empört. »So was hab ich nicht nötig. Nur als ganz Junge war ich angestellt. Zuerst in einem sehr gepflegten Haus in der Ludwigstraße und später am Steintor. Damals war das Steintor noch ein
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