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Todesspur

Todesspur

Titel: Todesspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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gehen, sie braucht dringend frische Luft. Es ist kurz vor acht, vielleicht kann sie im Bahnhof noch ein Brot kaufen. Natürlich hat Pedra Rodriguez ihr etwas zu essen angeboten, aber Jule wollte nichts. Sie hat sich eine knappe Stunde mit Fernando unterhalten, nach ungefähr zwanzig Minuten kam auch Oda dazu. Die ganze Szenerie erinnerte an einen Krankenbesuch, nur dass Fernando nicht im Bett lag, sondern bleich wie ein Sellerie im Wohnzimmer zwischen den dunklen spanischen Möbeln saß. Pedra bereitete nebenan in der Küche die Tapas für den nächsten Tag vor.
    Immer wieder wurde über den Vorfall gesprochen, vor allen Dingen über die Schuldfrage, bis sich die Unterhaltung im Kreis zu drehen begann. Irgendwann riss Oda der Geduldsfaden und sie sagte: »Hör endlich auf, ihn mit dir zu vergleichen, nur weil du als Kind auch mal ein paar krumme Dinger gedreht hast. Das mit Tahir ist etwas ganz anderes, und das weißt du auch. Du hattest immer ein gutes, ordentliches Elternhaus, auch nach dem Tod deines Vaters. Dieser Junge aber ist in einem kriminellen, verwahrlosten, gewalttätigen Umfeld groß geworden, und wenn er jetzt nicht tot wäre, hätte er womöglich früher oder später selbst einen umgebracht. Wer weiß, vielleicht hat er das ja sogar. Er hat eine Akte mit Straftaten, die so dick ist wie das Telefonbuch einer Großstadt, und ich frage mich, was die Behörden, die Justiz und allen voran das Jugendamt getan haben, um ihn vor seinen unfähigen Eltern zu schützen, ihn da rauszuholen und ihm eine Chance zu geben. Du hast nichts falsch gemacht, genauso wenig wie der Fahrer dieses Müllwagens. Du warst nur zufällig das letzte Glied in einer Kette, in der all diejenigen versagt haben, die sein Schicksal etwas angehen sollte.«
    Dem war wenig hinzuzufügen, und schließlich erlöste Fernando sie beide aus der beklemmenden Atmosphäre, indem er vorgab, müde zu sein und sich hinlegen zu wollen.
    Jule hat gerade zwei Vollkornbrötchen erstanden, als sie hinter sich eine Stimme fragen hört: »Haben Sie so lange Überstunden gemacht?«
    Oh, nein! Heute bleibt ihr wohl nichts erspart. »Guten Abend, Herr Stevens. Ja, sozusagen.«
    »Es war ja auch ein ereignisreicher Tag.«
    »Das ist wahr.« Jule lässt die Tüte mit den Brötchen in ihrer Handtasche verschwinden.
    Die Verkäuferin der Bäckerei sieht Stevens auffordernd an, aber der winkt ab, und die Frau wendet sich dem nächsten Kunden zu.
    »Ich muss dann mal los. Einen schönen Abend noch«, sagt Jule zu Stevens, der ihr zwischen Bäckertresen und einem abgestellten Koffer im Weg steht.
    »Wo wohnen Sie?«, fragt er.
    »In der List.«
    »Ich auch. Nehmen Sie die Stadtbahn?«
    »Nein, ich laufe. Ich brauche frische Luft.«
    »Darf ich Sie begleiten?
    »Ja, gerne«, lügt Jule, die wenig erbaut ist über die Aussicht, dieses Ekelpaket von einem Staatsanwalt auch noch auf dem Nachhauseweg auf der Pelle zu haben. Schweigend schlängeln sie sich durch das abendliche Gewusel des Bahnhofs. Erst hinter dem Raschplatz bricht es aus Jule heraus: »Das war nicht nett, was Sie zu meinem Chef gesagt haben, das mit der Hetzjagd.«
    »Hat er gepetzt?«
    »Er nicht, aber der Pressesprecher.«
    »Man kann nicht immer nett sein in meinem Beruf.«
    »Immer nicht. Aber Sie könnten es ja wenigstens einmal versuchen.«
    »Ich fürchte, ich habe nur das vorweggenommen, was die Presse morgen schreiben wird. Und apropos Hetzjagd – rennen Sie eigentlich immer so?«
    Tatsächlich hat Jule ein forsches Tempo angeschlagen, Stevens kann ihr nur mit weit ausgreifenden Schritten folgen.
    »Ja, meistens«, sagt sie und wird langsamer, aber nur ein klein wenig. Schließlich hat ihn niemand gebeten, sie zu begleiten, und wenn er nicht mit ihr Schritt halten kann, dann soll er es eben sein lassen. Erneut gehen sie stumm und zügig nebeneinanderher, hasten über eine rot werdende Ampel und weichen entgegenkommenden Fußgängern aus, doch am Beginn der Lister Meile hält es Jule nicht länger aus, sie bleibt abrupt stehen, sieht Stevens direkt in seine grünen Reptilienaugen und sagt: »Die Presse ist eine Sache, aber Ihr Misstrauen gegen unser Dezernat ist völlig unangebracht. Mein Chef ist nicht nur sehr erfahren, sondern auch absolut integer, der würde es nicht unter den Teppich kehren, wenn einer von uns Mist baut. Und eins kann ich Ihnen versprechen: Wir werden diese beiden Mordfälle aufklären, auch wenn wir mal nicht auf die Minute pünktlich bei einer Obduktion anwesend sind. Wir

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