Todesspur
Fuß eilt er zurück nach Hause und startet sein Motorrad, das im Hinterhof steht. Er ist geradezu froh, sich den Helm über den Kopf stülpen zu dürfen. Am besten, den nimmt er die nächsten Wochen gar nicht mehr ab.
»Hast du schon das Plakat gesehen?«
»Oh ja. Ich hätte deswegen fast einen Unfall gebaut.« Das Rauchverbot ignorierend zündet sich Oda einen Zigarillo an und bläst einen dicken Kringel in die Luft.
»Das war es also. Die ganzen letzten Tage hat er schon so geheimnisvoll getan.« Jule kichert. » Du brauchst uns – wir brauchen dich. Deine Polizei in Niedersachsen. Wer denkt sich nur solche Sprüche aus? Sicher eine sündteure Werbeagentur.«
»Wahrscheinlich die im Innenministerium. Die haben doch sonst nichts zu tun, außer einen mit dämlichen Erlassen über sportliche Leistungsnachweise zu quälen«, grollt Oda.
»Er sieht ja ganz gut darauf aus«, findet Jule. »Ziemlich cool.«
»Ja – wenn man ihn nicht kennen würde … «
»Gut, dass es nur ein Porträt ist. Neben der blonden Friesin vom KDD hätte man ihn auf einen Hocker stellen müssen.«
Sie grinsen sich zu. Lästereien über Fernando gehören zu ihrem Alltag, und eine solche Steilvorlage kann einfach nicht unkommentiert bleiben.
»Allerdings ist das Timing denkbar schlecht«, gibt Oda zu bedenken.
»Stimmt«, seufzt Jule. »Seit gestern möchte ich nicht in seiner Haut stecken.«
Odas altes Tischtelefon schrillt los, sie geht ran.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Krischtensen.«
»Guten Morgen, Dr. Bächle. Was gibt es denn so früh?«
»I hob grad die Leich’ von der Kreuzkirch’ aufm Disch und wollt Ihne’ bloß sage, dass die Kugel vom Kaliber 9 mm ischt. Der Schuss erfolgte aus acht bis zehn Metern Entfernung, hat einen Lungenflügel zerfetzt und tuschierte den Herzmuschkel. Entweder es war ein Zufallstreffer oder der Schütze war ein Profi. Falls Ihne’ des weiterhilft.«
»Vielen Dank. Sonst irgendwelche Auffälligkeiten?«
»Eine schöne COPD . Chronic obschtructive pulmonäry disease . Auf deitsch: Raucherlunge.«
»Mein Gott, Bächle, Sie schwäbeln ja sogar auf Englisch! Aber wieso rufen Sie mich an, ich denke, Rodriguez nimmt an der Obduktion teil?«
»Ach, der! Der hockt scho’ wieder grasgrün aufm Flur.«
»Cebulla vom 1 . 1 . K hier. Herr Stevens, ich soll Ihnen von Hauptkommissar Völxen ausrichten, dass in einer Viertelstunde unsere Morgenbesprechung beginnt. Nur für den Fall, dass Sie daran teilnehmen möchten.«
»Danke, Frau Cebulla. Seien Sie so freundlich und sagen Sie Herrn Völxen, er möchte mich auf dem Laufenden halten, falls es wichtige Neuigkeiten gibt. Ansonsten denke ich, ist meine Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich.«
»Wie Sie meinen.«
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Frau Cebulla.«
»Ebenso«, erwidert die Sekretärin verblüfft und fragt sich, was wohl mit dem neuen Staatsanwalt los ist. Gestern war der doch noch ein richtiger Büffel. Kopfschüttelnd steht sie auf und gießt erst einmal den Ficus.
»Was heißt, man kann das nicht stoppen? Wenn man Plakate aufhängen kann, dann kann man sie doch auch wieder runternehmen und neue drucken!«, ärgert sich Völxen.
»Sagten Sie nicht gestern noch, der Beamte Rodriguez habe in keiner Weise gegen eine Dienstvorschrift verstoßen bei dieser Aktion?«
»Das stimmt ja auch!«, bestätigt Völxen eilig.
»Also sehe ich keinen Grund, die Plakate nicht im Umlauf zu halten. Ich gebe zu, dass das kein sehr glücklicher Zeitpunkt ist, aber selbst die Boulevardpresse … «
»Verstehen Sie denn nicht?«, fällt Völxen seinem Vorgesetzten ins Wort. »Wenn die Familie des Jungen das sieht … «
»Gewiss. Aber diese Leute sind nicht objektiv in dem Fall. Was glauben Sie wohl, was das Ganze den Steuerzahler gekostet hat?«
Das interessiert Völxen im Moment wenig. Er appelliert an das Fingerspitzengefühl der entscheidenden Personen.
Der Vize seufzt. »Gut, ich bespreche das mit dem Präsidenten und der zuständigen Stelle im MI . Im Übrigen wird es eine interne Untersuchung des gestrigen Vorfalles geben, halten Sie und Rodriguez sich bitte heute bereit. Sollte sich ergeben, dass Kriminaloberkommissar Rodriguez’ Dienstverhalten nicht korrekt war, dann kann man immer noch über eine Einstellung der Kampagne nachdenken.«
Mit einem knappen »Danke, Wiederhören« schmettert Völxen den Hörer so heftig auf den Apparat, dass Oscar erschrocken in die Höhe fährt. Der
Weitere Kostenlose Bücher