Todesspur
ein sehr guter Riesling.«
Aus dem Augenwinkel heraus sah Paula, wie Newman sich nachschenkte. Sie drehte sich um, griff nach der Flasche Perrier, die die Kellnerin gebracht hatte, und füllte Tweeds Wasserglas.
»Sonst fangen Sie noch an zu singen«, zog sie ihn auf.
»Riesling ist mein Lieblingswein. Er hilft mir beim Denken.«
»Jede Ausrede ist besser als gar keine«, spottete sie weiter.
Sie drehte sich abermals um. Die gespenstischen Schemen der vor dem Fenster vorbeihastenden Leute faszinierten sie.
Dann versteifte sie sich. Eine Frau hatte die Tür aufgerissen und kam herein. Sie sah aus, als wäre sie zu Tode verängstigt. Jennie Blade. Sie entdeckte Tweed, eilte auf seinen Tisch zu. »Er ist mir wieder gefolgt«, sprudelte sie heraus.
»Der Mann mit dem breitkrempigen Hut.«
Ihr blondes Haar glitzerte von der Nebelnässe. Ihre Augen wirkten verstört. Tweed stand auf, ging um den Tisch herum, rückte ihr einen Stuhl zurecht, auf dem sie sich ihm gegenüber niederlassen konnte. Dann setzte er sich wieder und sah sie an.
»Wann ist das passiert?«
»Gerade eben. Er hatte mich beinahe eingeholt. Gott sei Dank, daß dieses Lokal so nahe war. Derselbe Mann – er ist mir gefolgt, und er hatte diesen verdammten breitkrempigen Hut so tief ins Gesicht gezogen, daß ich es nicht sehen konnte. Ich habe fürchterliche Angst.«
35. Kapitel
»Ich brauche einen Drink«, sagte Jennie, nachdem sie ihren Mantel ausgezogen und ihn über die Lehne eines Stuhls gehängt hatte. »Brandy.«
»Fürs erste nichts Hochprozentiges«, riet Tweed. »Sie stehen unter Schock. Probieren Sie ein Glas von diesem Riesling.«
Paula langte hinüber zu einem leeren Tisch, ergriff ein Glas und stellte es vor Jennie hin. Als Tweed ihr Wein einschenkte, war er froh, daß er dafür gesorgt hatte, daß sie ihm gegenübersaß – sie konnte Paula nicht ansehen, deren Miene voller Zweifel war.
»Können Sie mir erzählen, was passiert ist?« fragte Tweed.
Jennie leerte ihr Glas zur Hälfte, setzte es ab, hob es dann sofort wieder und trank den Rest. Tweed schenkte ihr nach.
»Weshalb waren Sie in diesem Nebel unterwegs?«
»Ich war mit Gaunt zusammen. Wir waren gerade vom Chateau Noir zurückgekehrt. Ich bat den Squire, mich in der Ladenstraße abzusetzen, damit ich in eine Drogerie gehen konnte. Es passierte, als ich wieder herauskam.«
»Ja, erzählen Sie weiter«, ermutigte Tweed sie.
»Ich kam aus dem Laden, und es war gespenstisch. Ich war verblüfft, wie dicht der Nebel inzwischen geworden war. Er stand mit dem Rücken zu mir da und hielt etwas in der linken Hand. Derselbe breitkrempige Hut, so tief heruntergezogen, daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Derselbe lange schwarze Mantel. Ich begann, auf das Bristol zuzugehen. Ich hörte, wie er hinter mir herkam. Ich geriet in Panik, begann zu rennen. Er ging wesentlich schneller, machte größere Schritte.«
»Woher wissen Sie das – daß er größere Schritte machte?«
fragte Paula. »Haben Sie sich umgedreht?«
»Großer Gott, nein! Dazu hatte ich viel zu viel Angst. Aber sonst war in dem Nebel kein anderes Geräusch zu hören – nur das Klicken seiner Schuhe, das immer näher kam.
Dieses klickende Geräusch kam in größeren Abständen – daher wußte ich, daß er jetzt größere Schritte machte.«
»Sehr gut beobachtet«, bemerkte Tweed. Er trank einen Schluck von dem Kaffee, den die Kellnerin kurz vor Erscheinen ihrer verängstigten Besucherin gebracht hatte. »Besonders, wenn man bedenkt, wieviel Angst Sie hatten.«
»Dann sah ich die Brasserie. Ich bin hier hereingeschossen, wie Sie gesehen haben. Was für eine Erleichterung!«
»Trinken Sie noch ein bißchen Wein.« Tweed wartete, bis sie ihr zweites Glas zur Hälfte geleert hatte. Er schenkte ihr nach. »Was ist aus Ihrem Verfolger geworden?«
»Ich habe keine Ahnung. Zumindest ist er mir nicht hier herein gefolgt. Aber hier hätte mir nichts passieren können.«
Zum ersten Mal lächelte sie. »Sie sind hier.«
»Fühlen Sie sich jetzt besser?« Tweed streckte einen Arm aus, ergriff ihre Hand, die auf dem Tisch lag, und drückte sie. »Hier sind Sie sicher, unter Freunden.«
Newman hatte geschwiegen und alles Tweed überlassen.
Ihm fiel auf, daß in der Wärme der Brasserie die Tropfen der Nebelnässe auf Jennies blondem Haar geschmolzen waren, wodurch es etwas strähnig wirkte. Aber sie war noch immer eine unglaublich gutaussehende Frau.
»Möchten Sie etwas essen?« fragte Tweed sie.
»Nur ein
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