Todesspur
Wagen.
»Sie machen Urlaub?« fragte er auf Französisch.
»Nein, ich arbeite », erwiderte Marler in derselben Sprache. »Ich bin Musiker.«
»Wo fahren Sie hin?«
»Nach Bern. Ich gebe dort ein Konzert.«
Marler hoffte, daß es in der Hauptstadt der Schweiz tatsächlich eine Konzerthalle gab, aber er bezweifelte, daß der
flic
das wußte. Er sagte so wenig wie möglich, versuchte, mit möglichst wenigen Worten auszukommen. Leute, die viel redeten, waren der Polizei immer verdächtig.
Der flic
betrachtete den Geigenkasten. »Dir Konzert findet heute statt?« fragte er grob.
»Nein, morgen. Ich habe vor, unterwegs irgendwo zu übernachten. Ich muß ausgeruht sein für das Konzert.«
Marlers Gedanken rasten und versuchten, keinen Blickwinkel außer acht zu lassen. Es war nicht unmöglich, daß er, wenn er Colmar erreicht hatte, demselben
flic
noch einmal begegnete. Der Polizist ging um den Kühler des Wagens herum, öffnete die Beifahrertür, lehnte sich hinein, öffnete den Verschluß des Geigenkastens und hob den Decke. Er starrte auf das lange Seidenfutteral, aus dem das Ende des Bogens herausragte.
Marler sagte nichts. Er achtete sehr darauf, sich keinerlei Ungeduld oder Nervosität anmerken zu lassen. Kein Trommeln mit den Fingern auf dem Lenkrad.
Der flic
schaute auf den Rücksitz des Audi.
»Was ist in der Tasche da hinten?«
»Kricketsachen. Unser Nationalsport. In der Tasche ist das, was wir zum Spielen brauchen – ein Schläger und Bälle.« Der Polizist runzelte die Stirn, griff hinein, zog den Reißverschluß der Tasche auf, betrachtete ihren Inhalt. Er zuckte die Achseln und machte die Tasche wieder zu. Die Engländer hatten merkwürdige Gewohnheiten. Marler wurde bewußt, daß er einen jener eklatanten Fehler begangen hatte, die selbst den vorsichtigsten Leuten gelegentlich unterlaufen. Wer würde in diesem Teil der Welt im Winter Kricket spielen?
Der Polizist schlug die hintere Tür zu, wie er es bereits mit der Beifahrertür getan hatte, und zuckte angesichts der Absonderlichkeiten der Engländer abermals die Achseln.
Ohne ein weiteres Wort kehrte er zu seinem Streifenwagen zurück und stieg wieder ein. Der Wagen schoß davon wie eine Rakete.
»Und diese Erfahrung reicht für einen Tag«, sagte Marler leise, nachdem er den Deckel des Geigenkastens zugemacht und den Motor wieder gestartet hatte.
Für Jennie war die Rückfahrt vom Chateau Noir nach Colmar ein einziger Alptraum. Gaunt fuhr auf schneebedeckten Straßen, die darunter vereist sein konnten, raste um Haarnadelkurven am Rand von Abgründen. Einmal schlitterte er dicht an einen endlosen Steilhang heran. Mit großem Geschick brachte er den Wagen wieder unter Kontrolle, jagte ein weiteres steiles Stück Straße entlang. Jennie verkrampfte ihre behandschuhten Hände.
»Viel haben wir nicht aus Amberg herausholen können«, bemerkte sie. »Der typische Schweizer. Obwohl die meisten Schweizer, denen ich begegnet bin, sehr höflich und hilfsbereit waren.«
»Halt den Mund! Ich muß fahren!«
Inzwischen kannte sie Gaunt und seine schwankenden Stimmungen recht gut. Als sie eine weitere Kurve durchführen, betrachtete sie sein Profil. Keine Anspannung, kein Anzeichen dafür, daß der BMW jede Sekunde in ein tödliches Schlittern geraten konnte. Ihr wurde plötzlich klar, daß er nur mit der Hälfte seines Denkens beim Fahren des Wagens war.
Er war ein hervorragender Fahrer, und die andere Hälfte war meilenweit entfernt und beschäftigte sich mit etwas, das ihm zu schaffen machte. Was konnte es sein, woran er im Geiste herumkaute wie ein Hund an einem Knochen?
Ungefähr zwanzig Meter vor ihnen kam ein gelber Traktor von einem schneebedeckten Feld. Wenn er erst einmal auf der Straße war, würde es sehr schwierig sein, ihn zu überholen. Gaunt gab Gas, drückte die Hand auf die Hupe, ließ sie pausenlos durch die Berge dröhnen. Großer Gott! Er wollte sich vor den Traktor setzen!
Sie schloß die Augen, wartete auf den tödlichen Zusammenstoß, konnte es nicht ertragen, nicht zu sehen, was passierte, und öffnete sie wieder. Sie biß die Zähne zusammen.
Der BMW die kurvenreiche Straße hinunterrasend, wurde noch schneller. Der Traktorfahrer schien sie nicht zu bemerken. Seine gelbe Masse ragte neben Jennie auf, als der BMW an ihm vorbeischoß und fast die Seite der Maschine gerammt hätte. Jennie stieß den angehaltenen Atem aus.
»Blöder Kerl«, bemerkte Gaunt gelassen. »Hätte warten müssen. Ich hatte Vorfahrt.« »Du hättest
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